DIE
ZEIT DANACH und meine Familiengeschichte
Trotz
Bedenken ist es mir als
einer der letzten Zeitzeugen ein Bedürfnis, meine Familiengeschichte
hier öffentlich zu machen, und auch über eine traurige Epoche zu schreiben,
über die man ungern oder nie sprach – aus Scham, aus Angst, oder weil es in
der Zeit danach niemand gewesen sein wollte, obwohl die Halunken
noch unter uns lebten und auch verbreitet der unselige Geist. Keiner, der einst im
Glashaus saß, mochte mit dem Finger auf andere zeigen. Nun, ich saß
noch nicht im Glashaushaus, und ich will auch nicht mit
Steinen werfen.
Man
muss bedenken, dass es in der NS-Zeit zu viel Leid und
Denunziationen gegeben hatte. Somit war auch jegliches Verlangen
nach weiteren Kämpfen und Streitereien verflogen, zumal man in erster Linie ja mit
der Befriedigung der Grundbedürfnisse beschäftigt war.
Verständlicherweise
hatte mein Großvater
vor dem Druck in seinen ursprünglichen Manuskript zu ‚De Buurmeen Rad‘
den nicht mehr zeitgemäßen NS-Jubelgesang wieder gestrichen, denn
er schien auch Repressalien zu fürchten.
Dieses sind
nun Begebenheiten, Erinnerungen
an jene unheilvolle Zeit, in die ich hineingeboren wurde und
aufwuchs, die mich für mein Leben im Besonderen geprägt haben.
Wie
alles begann
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Unsere Großfamilie
auf der Hochzeit meiner Eltern |
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Alle waren
sie Nazis - aus Überzeugung - oder sie waren den ideologischen
Zwängen der Zeit gefolgt. Jene die es nicht waren, hielten sich zurück, auch bei uns im Dorf. Mein Vater war schon früh in
die SS eingetreten, denn er gehörte auch zu jenen, deren Stammbaum
und Gardemaß ursprünglich dem Kern der Elitetruppe entsprach, der
'Leibstandarte AH'. Von den wilden SA
Horden hielt er sich zurück. Von dem, was die in den Städten
trieben, bekamen sie hier auf dem Dorf fast nichts mit und wenn,
dann war es Propaganda und die anderen die Bösen, die Kommunisten. Das neue Informationsmedium war das Radio.
Für wenig Geld konnte fast jeder Haushalt den einfachen Volksempfänger
erwerben. So erhielten die Menschen ihre manipulierte politische Bildung. Ich
wurde ein Jahr vor Kriegsbeginn geboren. Meine
beiden Brüder Harm und Karsten waren schon da, und ein
Jahr
später kam Anna-Wiebke.
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Mit
meinem Großvater hatte mein Vater ein Generationsproblem hauptsächlich
wegen der Hofbewirtschaftung. Obwohl er als Bauer keinen
Kriegsdienst hätte leisten müssen, meldete er sich freiwillig,
denn es wurde der bäuerlichen Elite suggeriert, wenn sie sich ins
Zeug legten, dass nach Eroberung der Ostgebiete ihnen Rittergüter
am Schwarzen Meer in Aussicht gestellt würden.
Gut,
er wollte im Zeitgeist für etwas kämpfen, etwas erobern, obwohl er blauäugig sicherlich nicht
wirklich wusste, wie so viele andere eben auch, was Krieg bedeutete.
Doch mit der der topp organisierten und motivierten Truppe sollte
ein schneller, erfolgreicher Feldzug wohl kein Problem sein, glaubte man damals.
Zu
Beginn des Krieges wurde er nach
der Ausbildung an der Führerschule in Bad Tölz bald nach
Polen abkommandiert. Kein Kampf, Partisanen sollten erschossen
werden. Nein, es waren keine Partisanen! -
Die gewaltigen zentralen Vernichtungseinrichtungen waren noch nicht
fertig..
Von
einem stolzen Mann aus einem friedlichen holsteinischen Bauerndörfchen
kommend, der angeblich schon ein Problem damit hatte, ein Tier zu schlachten,
von dem wurde plötzlich
Unmenschliches verlangt.
Er
war erschüttert wie Menschen mit anderen umgingen und
widersetzte oder verweigerte sich, wie auch immer. Man schickte ihn
in Urlaub, in den letzten, wie er meiner Mutter anvertraute. Bis zum
Jahresende forderten sie einen Sinneswandel von ihm. Stolz war er
einst für Führer, Volk und Vaterland ausgezogen und kehrte jetzt
als ein anderer, als ein gebrochener Mann, als ein seelisches Wrack
zurück zu seiner Familie in sein beschauliches Bauerndorf.
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Nur
kurze Erinnerungsmomente habe ich an ihn, als ich mit meiner kleinen
Schwester Wiebke am morgendlichen Kaffeetisch auf der Eckbank in der
Küche herumalberte. Da fegte er plötzlich mit der Hand das
Geschirr von der Platte. Meine Mutter kehrte es wortlos, weinend
wieder zusammen. Es gab keine Strafe für uns, kein böses Wort
wurde gesprochen, obwohl wir es normalerweise erwartet hätten..
Und
am Ende dieses letzten Besuchs, beobachtete ich ihn, wie er sich im
Schlafzimmer vor dem großen Kleiderschrank
die schwarze Uniform so korrekt anlegte. Und als er dann von uns
begleitet durch die große
Dielentür das Haus verließ, habe ich mich weinend auf dem Weg zur
Straße hinunter an sein rechtes Bein geklammert, 'Papa bleib',
um ihn am
Fortgehen zu hindern. Sicherlich habe ich durch das Verhalten meiner
Eltern gespürt, dass da etwas Endliches war. Nur wir vier Kinder
und meine Mutter kamen zum Abschied, mein Großvater nicht. Wohl
dass der Hof nun vernachlässigt würde, hatte er sich im Zorn zuvor von
meinem Vater mit den Worten verabschiedet, er möge wieder nach
Polen gehen und sich totschießen lassen.
Noch
einmal besuchte meine Mutter meinen Vater in Polen. Von Mitreisenden
erfuhr sie in der Bahn, dass die Machenschaften seiner SS-Einheit schon bekannt
waren. Es durfte nur nicht darüber gesprochen werden, doch es gab
viele Gerüchte. Und so war es
auch in der Heimat: Kein offenes Wort darüber, dass ein SS-Mann weich
geworden war.
Ende Dezember
war das Ultimatum abgelaufen, und sein Todestag am 30.12. Er
sei bei Kaluga in der Nähe von Moskau gefallen, wo man ihn mit einem Luftlandetrupp hinter den feindlichen
Linien abgesetzt hätte. Von diesen Todeskommandos, zum Schweigen
Verurteilte kehrte in
der Regel, wenn überhaupt, selten jemand zurück. Aber nein, bei dem letzten Besuch
meiner Mutter in Polen sagte er ihr, dass er auch erschossen würde,
falls er sich weiterhin weigerte, denn schwächelndes Erbgut
schadete der 'Rasse'. Er hatte gehofft, dass man es
nicht wirklich machte. Nach dem Krieg erzählte auf
Drängen meiner Mutter ein ehemaliger Kamerad, mein Vater sei
tatsächlich erschossen worden. Unverständlich
für sie war, dass man ihr eine Armbanduhr und einen Ehering geschickt
hatte, die nicht meinem Vater gehörten.
Schon in der ersten
Januarwoche erhielt meine Mutter die Todesnachricht. Drei Tage
später erschienen
Männer ohne Anmeldung in schwarzen, langen Mänteln mit einem PKW, um
meine lebensfrohe Lieblingsschwester Wiebke abzuholen. Sie hatte eine
Hasenscharte und sollte angeblich jetzt in der Uniklinik in Kiel operiert
werden. Und weitere drei Tage danach wurde sie in einem versiegelten Sarg,
der nicht geöffnet werden durfte, zurück geliefert. Sie habe sich
angeblich während eines Fliegerangriffs tot geschrien. Nein, da war
kein Bombenlärm! Das war Euthanasie und auch nicht der einzige
Fall in Kiel, wie
wir heute wissen.
Bald darauf hatte Mutter auch den Tod ihrer Mutter und ihrer drei
Brüder an der Front zu verkraften.
Und doch wuchsen wir
Kinder unbefangen auf, und es waren trotz Allem auch die glücklichen
Momente, die mich und mein späteres Leben geprägt haben. So waren
wir Kinder auch in den schweren Zeiten
die einzigen Zuhörer meiner Mutter in ihrem Kummer, obwohl wir
sie nicht wirklich immer verstanden haben. Sie beglückte uns
doch mit ihrer Liebe und sagte uns stets,
wenn wir Kinder nicht gewesen wären, hätte sie längst Schluss gemacht.
Bei
Gewitter mussten wir uns nachts anziehen und ganz dicht beieinander
sitzen, weil unser großes Bauernhaus ein Reetdach hatte und sehr
schnell Feuer fangen könnte.
„Wenn’s uns trifft, dann uns alle“, sagte sie. Keiner
sollte allein zurück bleiben.
Als
alleinstehende Bäuerin mit drei Kindern musste Mutter alle Jahre von
früh bis spät 'nebenbei' arbeiten und den Betrieb managen. In
der Landwirtschaft halfen zwei ältere Tagelöhner und in
Spitzenzeiten wurden uns französische Kriegsgefangene zur Verfügung
gestellt, die im Nachbardorf Fitzbek auf einem Stallboden schliefen. Der
Wachtmeister brachte sie uns bei Bedarf vorbei. Für den Haushalt und zur
Unterstützung meiner Mutter, melken morgens und abends, hatten wir
Josepha
bekommen, eine blutjunge polnische Zwangsarbeiterin, eine
liebenswerte Perle. Für sie hatte man bei uns im Kuhstall einen
kleinen Verschlag zum Schlafen gebaut, denn die Unterbringung und
das Essen im
Wohnhaus war verboten. Ich war ihr Liebling, und wenn ich einmal
wieder meinen leicht reizbaren Großvater geärgert hatte,
verteidigte sie mich und ging mit ihrem Holzpantoffel auf ihn los.
Meine 'Reizlust' war wohl auch in dem gespannten Verhältnis meiner Mutter
zu ihrem Schwiegervater begründet.
Josepha wäre nach dem Krieg zu gerne bei uns geblieben, weil es ihr
bei uns so
gut gefiel, doch sie durfte nicht und musste wieder nach Polen zurück.
Nach
der Wende in Deutschland machte ich sie noch einmal in Polen
ausfindig. Sie erkannte mich sofort, nach 50 Jahren! Ihre Familie
hat mich damals großartig bewirtet.
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In
der Mitte Otto Loop mit seinen Schwestern Betty und Therese
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Mein
Großvater wohnte in der Altenteiler Kate neben dem Hof mit seinen
beiden unverehelichten, jungfräulichen Schwestern, die ihm den
Haushalt führten. Der Hof musste
sie versorgen und ernähren. ‚Das ist der Hof uns schuldig‘, war
ein geflügelter Satz. Obwohl sie keine Gebrechen hatten, unterstützten
sie während der Abwesenheit meines Vaters meine Mutter nicht. Der Großvater
war mit Schreiben oder im Sommer mit seinen Bienen beschäftigt, die
Schwestern mit Handarbeiten, Haushalt und ihrem Garten. Aber meine
Mutter wollte wohl auch nicht, dass die Alten sich ständig einmischen würden. So etwa war
das wohl.
Als
zum Ende des Krieges das Reich von Ost und West in die Zange
genommen wurde wich ein Rest der deutschen Truppen nach
Schleswig-Holstein aus. Die Dörfer und Wälder hier wurden zu einem
riesigen Heereslager. Ebenfalls der Führerstellvertreter Großadmiral
Dönitz zog sich nach hier zurück, und andere NS-Größen kamen
hier her mit gefälschten Papieren, um unter zu tauchen.
Obwohl Deutschland schon kapituliert hatte, beendete Dönitz hier erst
zwei Wochen später den Krieg. Größere Kampfhandlungen gab es hier
nicht. Nur die Städte wurden verstärkt bombardiert und
Jagdflugzeuge beschossen noch in den Dörfern die Truppen oder lieferten
sich mit den letzten deutschen Jägern ein Duell. Einer wurde
getroffen, flog brennend über uns hinweg, warf noch zwei Bomben
aufs Feld und stürzte als Feuerball ab. Dieses waren meine
einzigen, für mich erregenden Kriegserlebnisse und der Grund
dafür, dass ich später Pilot in unserer neuen
Luftwaffe wurde. Doch ich bin dem lieben Gott dankbar, dass ich nie auf die Kleinen da unten
schießen musste. Ja, so wie es die englischen Jäger auch nicht
getan hatten, als sie die Soldaten auf unserem Hof beschossen, und
ich mit meinem Freund auf der Wiese unten die herunter fallenden
Geschosshülsen einsammelte.
Dann
erreichte unsere friedliche Dorfidylle auch die
große Flüchtlingswelle aus Ostpreußen, hauptsächlich Frauen und
Kinder mit spärlichen Gepäck. Unsägliche Strapazen
und Erlebnisse hatten sie hinter sich auf ihrem eisigen Weg
meist über die Ostsee. Die
Einwohnerzahl im Dorf wuchs auf das
Vielfache. Es gab natürlich in der Folge auch
Spannungen und Vorurteile auf beiden Seiten, zwischen
den alten und neuen Bewohnern.
Jedes ‚Loch’ in Haus
oder Stall wurde belegt und meist irgendwie beheizbar zum Kochen
oder Wärmen gemacht. Die Wälder waren wie leer gefegt. Zur Feuerung
grub man auch die Wurzeln großer Bäume aus.
Andernorts wurden sogar Telefonmasten und Fußböden
verheizt. Meine Mutter war sehr sozial eingestellt, teilte Vieles und schlief mit
uns Kindern in einem Zimmer. Abends saß sie mit den
Flüchtlingsfrauen im Dunkeln an dem kleinen Couchtisch
und sie machten gemeinsam Tischrücken: 'Lebt der
Führer noch?' 'Wird er uns rächen?' 'Lebt mein
Mann noch?' usw. Bei diesen Wunschgedanken begann der
Tisch stets kräftig zu hüpfen. Trotz Allem was geschehen war,
der NS-Geist lebte noch, denn es waren ja die Feinde,
die das Leid verursachten.
Und
als Dönitz letztlich auch aufgab, kamen kampflos die englischen
Besatzer.
Auch bei uns im Dorf wurden von ihnen Häuser besetzt. Das
war aber nicht für eine sehr lange Zeit. Unser reetgedecktes
Bauernhaus haben sie glücklicherweise verschmäht. Die deutschen Soldaten gingen
in die Gefangenschaft. Und Wald und Feld wurden
einigermaßen von Kriegsgerät geräumt, doch es blieb verstreut
noch lange allerhand liegen zum Spielen für uns Kinder. Das meiste
war entschärft, bei den Gewehren die Schlösser entfernt und bei den Granaten
die Zünder herausgenommen worden. Deshalb funktionierten die
Handgranaten und Panzerfäuste auch nicht mehr. Aber wir haben
große Feuer
gemacht, ganze Munitionskisten hinein geworfen und sind in
Deckung gegangen, wobei wir
dann auch nicht wussten, wann die letzten Geschosse nun
wirklich explodiert waren. Schön, dass allgemein alles gut ging.
Nur ein Junge hat zwei Finger verloren.
Durch
die verspätete Kapitulation im Norden wurde ich noch kurz zuvor eingeschult.
Der alte Schulmeister aus dem Osten, der dort schon das Weite gesucht hatte,
wurde unsere Lehrautorität. Er
klärte uns nun wortgewaltig über Wunderwaffen und Endsieg und
über die Schändlichkeiten der Feinde auf. Und als nach ein paar
Wochen dann auch der Endsieg kam, aber nicht für die Deutschen, für die
anderen, da mussten wir verlängerte Zwangsferien nehmen. Und als wir im Herbst
mit der Schule weiter machten, war der Alte wieder der Neue. In der
Zwischenzeit hatte man ihn belehrt, dass der Führer und seine
Gefolgschaft im Denken und Handeln nicht mehr zeitgemäß seien. So
drehte er einfach die Akteure und seine Meinung um - und vermittelte sie uns wieder
wortgewaltig.
Diese Wandlungsfähigkeit war
das Größte, was ich in der Volksschule fürs Leben gelernt habe.
Einer
der ersten Flüchtlinge, der über Land ins Dorf
kam, war
einer aus Ostpreußen, einer mit einem
Planwagen mit zwei Pferden davor, einer der nach einem herrenlosen Bauernhof
Ausschau hielt in dem Glauben, sich diesen schon einmal sichern zu
können. So kam er zu uns. Der Planwagen musste drinnen auf der Diele stehen und die Plane war
fest verschnürt. Gerade weil der Angereiste ein besonderes Geheimnis
aus der Ladung machte, weckte es unsere kindliche Neugier: Über Umzugsgut und einem Nachtlager auf der Pritsche
erspähten wir unter
unter der Plane hängend Schinken, Würste und Speckseiten wie in einem Lebensmitteldepot.
Zwar mussten wir nicht hungern, aber derartige Köstlichkeiten
waren uns schon lange fremd, denn bei uns gab es keinen Bauern im
Haus, der den Speisezettel illegal hätte bereichern können. Dieser
Mann teilte nichts, kein kleines Stückchen. Sein Geiz hielt den
Wagen unter Verschluss, denn nur wir Kinder wussten, was sich darauf
befand und mochten nichts verraten, was wir verbotener Weise
entdeckt hatten.
Der
Ostmann war arbeitsam, aber im Kopf einfach gestrickt und
sonst ein ungehobelter Klotz. Doch er bot meiner Mutter in jeder
Hinsicht eine starke
Schulter, was ihr in den wirren Tagen bei Kriegsende gut tat. Er trachtete nach einer Sonderstellung
in Haus und Hof. Was er allerdings nicht wusste war, dass bei uns im
Land die 'Höfe-Ordnung' galt, das Erbhof Gesetz, damit der Hof im
Erbfall als Ganzes erhalten blieb und nicht gesplittert wurde. Somit
war mit dem Tod meines Vaters automatisch mein ältester Bruder
Eigentümer. Meine Mutter musste den Betrieb nur kommissarisch bis
zu seiner Volljährigkeit führen.
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In
der Einfahrt Großmutter Anna, geb. Stabe, und Großvater Otto,
vorne
auf dem Pferd mein Vater Hans und rechts seine Schwester Grete. |
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Die
Zeit verstrich und viele Flüchtlinge waren schon nach
Westdeutschland umgesiedelt worden. Die 'starke Schulter' fühlte sich
bei uns schon etabliert, da erschien auch eher unverhofft seine Frau mit seinen fünf
Kindern.
Er komplimentierte meine Mutter mit uns Kindern hinaus in unser bescheidenes
Arbeiterhäuschen. Da gab es ein Plumpsklo und eine Schwengelpumpe im Stall. Die Küche und ein kleines Zimmer waren beheizbar,
die anderen Räume nicht. Wir richteten uns ein.
Auch die 'Leute von
drüben' richteten sich ein in unserer geräumigen Wohnung auf dem
Hof. Sie entfernten aus
dem Haus den bürgerlichen
Schnickschnack, warfen die Teppiche hinaus und streuten weißen Sand
statt dessen
auf den Holzfußboden. Eben so, wie sie es in ihrer östlichen
Holzpantoffelkultur gewohnt waren.
Auf
dem Hof wirke der neue Herr nun nach seinen Gutdünken und eigenmächtig. Er fällte die alten
Eichen, die den Hof einrahmten, und verkaufte alles, was er für überflüssig
hielt oder zu Geld machen konnte. Traurig waren wir, dass er dabei ebenfalls unsere elegante
Kutsche mit Kutscherbock, schwarzem Glanzlack und geschliffenen
Glasscheiben verscherbelte. Auch wenn sie sicherlich in
absehbarer Zeit nicht mehr zum Einsatz kommen würde, so war sie doch
für uns einst Symbol großbäuerlicher Herrlichkeit. Dazu gehörte auch das
Pferdegeschirr mit Silberbeschlägen.
Doch
als er schließlich merkte, dass er hier keine Zukunft finden würde,
wanderte die Familie kurzfristig nach Kanada aus.
So lange der NS-Geist in der Kriegszeit Land und Dorf beseelte
war mein Vater in den Köpfen der schändliche Verweigerer
und
danach der schändliche Kriegsverbrecher. Es waren doch ‚nur‘ drei im Krieg geblieben, der
Schmied (Panzer), der Gehilfe von Bauer Gloy (Infanterie) und mein Vater. Aber ein Denkmal
für einen Kriegsverbrecher? Das
Ehrenmal bekam die Inschrift:‚Den Gefallenen
des ersten und zweiten Weltkrieges‘
Den großen Feldstein mit den
Namen der Gefallenen des ersten Weltkriegs platzierte man daneben
mit der Inschrift der Gefallenen nach unten. Zur Begründung hieß
es, die vielen Namen der toten Männer der vorübergehend ins Dorf gekommenen Flüchtlinge würden den Rahmen
auf dem neuen Denkmal sprengen.
Die
Inschrift mit Dienstgrad und Waffengattung auf dem schwarzen Obelisk
ließ mein Bruder zehn Jahre nach dem Krieg von unserem Familiengrab
entfernen.
Nie
wollte meine Mutter später wieder heiraten, aber ihre älteste
Schwester verkuppelte sie mit einem alten Bekannten, der wegen
seiner politischen Vergangenheit auch gestrauchelt und wurzellos geworden war. Sie
heirateten, er adoptierte meine Halbschwester und wir bekamen noch
einen Bruder. Mein Stiefvater war zwar handwerklich
begabt,
aber er war kein Bauer. Dennoch führte er gemeinsam mit meiner Mutter sehr
geschickt den Betrieb, unkonventionell und erfolgreich, trotz
anfänglicher
Unkenrufe der anderen Bauern, weil so einer aus der Stadt so etwas
nicht kann. Doch schon bald hatten sie wirtschaftlich und finanziell die Nase vorn.
Als
mein ältester Bruder volljährig wurde, übernahm er einen gut geführten
Hof ohne Verbindlichkeiten. Nach einigen Jahren gab er den Betrieb
auf, studierte Agrarwissenschaft und promovierte.
Nach
seinem Tod erbten meine Halbgeschwister und ich den Hof.
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