Otto Loop 1876 - 1947 

Diese Dorfgeschichte basiert auf der Erzählung 

>De Buurmeen Rad<  

(die Bauerngemeinde Rade)

 

die Otto Loop in Plattdeutsch 

verfasst hat. 

Seine Aufzeichnungen führen uns von Anbeginn des Ortes bis etwa in die Dreißiger

 

      zum Origonal 

 

Da die  geschriebene Plattdeutsche Sprache schwer zu lesen und die Schrift in dem Heftchen vielen fremd ist, habe ich den Text ins Hochdeutsche und in 'Reinschrift' übertragen - auch möglichst wörtlich, um zu vermitteln, wie man im Plattdeutschen so schnacken tut. Die Erzählung erhebt also keinen Anspruch auf literarische Feinheiten, ist aber wohl durch die Ursprünglichkeit ein bemerkenswertes Zeitdokument. Verschiedene Begriffe konnte ich allerdings nicht zuordnen. Einige 'Gedankensprünge' des Autors bedürfen auch der Phantasie des Lesers.  Ergänzenden Anmerkungen habe ich - gerahmt - u.a. seiner Chronik entnommen. Also, diese Dorfgeschichte will auch unterhaltsam und keine trockene Chronik sein.

 

 

Erich Maletzke 'Die Schleswig-Holsteiner 

 

Da sind wir zu Hause - mitten in Holstein. 

Unsere Vorfahren: die Holsaten

 

 

 

Rade hat seinen Namen wohl von ausroden, denn anzunehmen ist, dass hier vor vielen Jahrhunderten nur Wald gewesen ist. Beim Gräben Reinigen stößt man häufig auf Stubben, ganze Eichenstämme und Haselnüsse in den Moorwiesen. Es wurde ja festgestellt, dass nach der Eiszeit das Land bedeutend abgesackt ist. Die jetzigen Moore und Brooken sind ganz voll Wasser gewesen, wo die Bäume und Pflanzen reingetrieben sind. Mit den Jahren sind sie wieder aufgeschlickt und getrocknet, daher wohl der Name ‚Füürholt‘. Der Grund hierfür mag sein, man sich früher dort Feuerholz geholt hat oder auch der Wald ist abgebrannt. Im Dorf haben alle Bauern eine Wiese, die ‚Füürholt‘ heißt.

Im ‚Liethbarg‘, ‚Winnbeeksbarg‘ und ‚Krückenwisch‘ ist noch ein kleiner Beweis wie das Wasser sich nach der Eiszeit reingewühlt hat. An beiden Stellen ist eine große Schlucht entstanden (im ‚Lietbarg‘ wohl 10 Meter tief). Der Sand hat sich nachher auf den Koppeln wieder abgelagert. Deshalb ist der Boden dort recht trocken. Der Sand ist auch viel feiner. Die Pflanzen und Bäume sind weiter in den Grund getrieben worden, in die jetzigen Wiesen. In der ‚Krückenwisch‘ ist noch ein kleiner Bach, der nun zu Fischteichen gemacht worden ist. Oben vom ‚Lietbarg‘ und ‚Winnbeeksbarg‘ hat man eine herrliche Aussicht zum Störtal rüber.

 

 

  

 

 

Hügelgrab aus der Steinzeit

 

Die abwechslungsreiche Landschaft war schon für die Steinzeitmenschen ein idealer Lebensraum, was viele Hünengräber in der Gegend belegen. Die ersten Ansiedler haben hier die ‚Wischhööv‘ (in der Dorfmitte) urbar gemacht und sich an dem kleinen Dorfbach angebaut, so dass sie leicht Wasser für ihren Gebrauch hatten. Pumpen haben sie ja noch nicht gekannt. Sie haben wohl Ziehbrunnen gehabt. Der Bach fließt in den Bullenbeek, der am östlichen Dorfrand verläuft und in der Stör mündet.

Die Gemarkung ist 400 Hektar groß und hat 35 Haushalte. Die Lage ist gut, schöne feste Wege. Die Ländereien liegen nicht so weit vom Haus entfernt. Der Boden ist sandig, grantig, bindig und grau anmoorig. Die Wiesen sind Moor- und Stauwiesen. Die Bauernstellen sind ursprünglich alle reichlich 100 Tonnen (2 Tonnen = 1 Hektar), die der Halbbauern so bei 25-30 Tonnen groß gewesen. Die ersten Stellen waren klösterlich oder gräflich, das heißt ihre Abgaben mussten sie entweder an das Kloster Itzehoe oder an die Grafschaft Breitenburg abliefern. Das kam so: das Kloster in Itzehoe, das um 1230 von dem holsteinischen Grafen Adolf IV gegründet wurde, hatte große Besitzungen ganz bis hin nach Nortorf und Kiel. Die Grafschaft ist 1526 von Johann Rantzau gekauft worden. Davor gehörte es noch zum Kloster Bordesholm. 

Am Anfang hatten die Klöster und der Adel große Macht, was hauptsächlich die Hoheitsrechte betraf. Seit der Reformation wurde es weniger. Das Kloster Itzehoe ging 1541 zur Reformation über. Die katholische Kirche hatte zuvor das Kloster zu einer Versorgungsanstalt für die unverheirateten adligen Töchter und Witwen  gemacht. Eine gute Einrichtung, die noch heute besteht.

Bis ins 15. Jahrhundert waren die Bauern nur Hörige oder unfrei gewesen. Durch die vielen Kriege waren die Abgaben und Lasten so groß geworden, dass die Bauern vielfach davon liefen und die Höfe wüst liegen ließen, die ihnen auf Lebzeiten übertragen worden waren. Das Schlimmste war jedoch die Belehnung, die der Bauer zu bezahlen hatte. Übergab der Vater den Hof zur Bewirtschaftung an seinen Sohn, so musste dieser ‚budeelen‘, das heißt, er musste das Inventar und Vieh mit seinem Grundherrn teilen. Der Bauer hatte kein Eigentumsrecht an Hof und Inventar. Der Grundherr lieh dem Sohn die erste Aussaat. Nach der Ernte musste aber doppelt wieder zurückgezahlt werden. 

Für jedes Tier, das groß gemacht wurde, musste eine Abgabe geleistet werden, sogar vom Federvieh. Wenn ein Tier geschlachtet wurde, musste die Haut abgeliefert werden, ebenso Eier Butter und Honig und für jeden Faden Holz etwas. Beim Wegebau (Intraden) musste geholfen werden. Bei den Gespann Einsätzen für die großen Kanonen und Arbeitsdienst gingen häufig 2 Tage in der Woche verloren, dass der Bauer in der Ernte sein eigenes Korn nicht nach Hause bekam. 

Im 17. Jahrhundert wurde es besser und die Lasten weniger. Der Hof ging in Erbpacht über und nach gewissen Jahren wurde er Eigentum. Einige Lasten sind aber lange bis 18-hundert in den Siebzigern geblieben wie Kälbergeld, Schweinegeld, Hühnergeld, Holzhauer Geld und Intraden und Kanon. Die Klostervögte und Dingvögte, die einen großen Bezirk hatten zum Beaufsichtigen der Bauernhöfe, wurden kräftig ‚beschmust‘ (bestochen).

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So wurde den Untergehörigen befohlen, die 'Contribution' zu bezahlen. 

In diesem Heft wurden die Zahlungen quittiert.

Unter preußischer Verwaltung wurden diese Forderungen 1867 abgeschafft.

 

Da in der bisherigen Unordnung in der Bezahlung der Gefälle nicht länger nachgesehen werden kann und es durchaus erforderlich, daß für jede Vogtey ein bestimmsamer Hebungstag angesetzt werde; so wird den sämtlichen Klösterlichen Untergehörigen der Vogtey  Hennstedt mit Vorbehalt der gesetzlichen Termine befohlen, daß sie jedesmal am ersten Mittwochen der Monate März, Junii, September und December Termin den ersten, zweyten, dritten und vierten Termin Contribution bezahlen sollen. Mit dem zweyten Termin werden von den Beykommenden die Pfingstzinsen, das Mühlen- und das Lämmergeld, mit dem dritten Termin das Schweinegeld und mit dem vierten Termin Procentensteuer, Mattini- und Umschlagzinsen und alle übrige Poste bezahlt. Die neue Steuer muß im 4ten Qartal von dem bestmmten Hebungstage zusammen gebracht seiyn, daß selbe vom Sammler zugleich mit eingebracht werden kann. Vor dem angesetzten Tage wird durchaus keine Hebung angenommen. Säumige aber, welche ausgeblieben, sich jedoch am zweyten Montage der zur Hebung angesetzten annoch einfinden, soll die Hebung des doppelten Schreibgeldes abgenommen werden; denjenigen aber, welche sich sodann noch nicht eingefunden, soll von selbst und ohne Anzeige die Execution auf Acht Tage mit täglich Einem Schilling von jedem zu bezahlenden Reichsthaler zugelegt seyn; jedoch so, daß die tägliche Execuition die Summe von zwölf Schilling nicht übersteigen und diese Executionsgelder jedesmal in den Quitungsbüchern mit quitiert und zum Besten der Eriminalkasse berechnet werden sollen. Denjenigen, welche in diesen 8 Tagen auch noch nicht alles bezahlt, wird auf ihre Kosten zur Eincassierung ein besonderer Bote zugeschickt werden, worauf die da noch in Rückstand gebliebenen mit der Pfändung verfahren werden wird.

Wonach sich zu achten       Itzehoe 12ten Februar 1805

v.Brockdorff

Die Ländereien der einzelnen Hofstellen sind gut verteilt. Jeder hat Hochland, Niedrigland und Wiesen, bisschen Moorland und Wald. Holz aber nicht allein für den eigenen Gebrauch. Da war jedoch immer etwas zum Verkauf übrig. Jeder Bauer konnte wohl 10 Faden Kluffholz verkaufen. Das Knüppelholz wurde meist in den Haushalten verbraucht, wohl so viel wert wie Torf. Auch nach Kellinghusen ging viel hin. Die Handwerksrechnungen wurden häufig anteilig mit Holz oder Torf bezahlt.

Anfangs waren die Wege ja nicht so besonders. Die Bauern konnten ihre Produkte dennoch gut an den Mann bringen. An der Stör hatten sie eine Schiffstelle, wo sie hauptsächlich Holz hinfuhren. Von dort wurde es geflößt oder mit kleinen Ewern in die Marsch und nach Hamburg transportiert. Am 22.8.1739 sind sich die Bauern hierfür vertraglich einig geworden: Das Schriftstück wurde unterschrieben von Hans Runge als Käufer für die Bauerngemeinde sowie Carsten Gloy, Johann Schlüter und Tewes Kröger als Verkäufer. Die Schiffsstelle lag an der Bollenwiese und war 22 Schritt breit und 30 Schritt lang. Das Land gehört nun zum Hof Carolinenthal.

Die Stör schlängelte sich damals wie eine silberne Schlange durch die grünen Wiesen. (siehe Karte). Das Wasser war hell und klar mit einer Menge Fisch darin. Da hat sich mancher eine Mahlzeit raus geholt. Aber wenn das starken Regen gab, wurden die Wiesen gleich alle blank. Das war dann im Sommer in der Heuernte ein großer Übelstand. Vielfach trieb das Heu alles weg. So traf das manchmal zu, wenn das ein großes Gewitterschauer gegeben hatte, dass der ganze Haushalt hin musste, um das Heu aus dem Wasser zu fischen und auf das Trockene zu schleppen. Wenn das Gras nicht gemäht war und ein paar Tage im Wasser stand, dann hatte es auch schon viel an Wert verloren. Im Winter bei Tauwetter und Westwind war häufig alles ein See und überschwemmte das Land weit zurück. Aber das war wiederum von Vorteil, denn viel Schlick lagerte sich ab und war ein guter Dünger. Mit den Jahren verschwand der Fisch immer mehr, denn in Neumünster ging es der Industrie immer besser und man ließ das faule Wasser in die Stör laufen bis nichts mehr leben konnte. So ab 1908 ist die Stör begradigt worden, dass das Wasser schneller ablaufen konnte. Schmutzig ist es doch geblieben und die Fische sind nicht wieder gekommen.

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Ursprünglich konnte die Stör einen paradiesischen Fischreichtum, hauptsächlich Karpfen, Forellen und Lachs, aufweisen. Mit dem Abwasser der Lederfabriken in Neumünster wurde der Fluss jedoch zu einer übelriechenden Kloake, die alles Leben darin zerstörte. Milzbrand-Sporen  verseuchten das Wasser und die überschwemmten Wiesen. Registriert wurden in 20 Jahren fast 1.300 verendete Rinder in den Gemeinden der oberen Störniederung. Um nach der Störbegradigung künftig die Wiesen trotzdem noch berieseln zu können, wurde bei Störkathen ein Sperrwerk gebaut (alter Flusslauf siehe Karte). Doch als danach die Seuche erneut auftrat, wurde kein weiteres Mal geflutet. Das Sperrwerk ist noch erhalten, aber die Stör wurde nie wieder gestaut. Die Wiesen waren über viele Jahre unbrauchbar geworden.  

 

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Ursprüngliches Flussbett

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Von den Bauernwäldern wurde ein Teil gesägt. In Bondenwäldern hatte der der Besitzer früher nur Weichholznutzung und Weidegerechtsam (das Recht zum Weiden der Tiere). Die Hartholznutzung behielt sich das Kloster oder die Grafschaft vor. Diese Gerechtsam ist bei dem Loop‘schen Hof  22.11.1780 von seinem Voweser Claus Gloy abgelöst worden für 100 Mark grober, klingender Courant-Münzen. Das Schriftstück ist unterschrieben von  ‚von Ahlefeld, Graf von Brokdorf‘ als Verkäufer und ‚Claus Gloy‘ als Käufer. 2 große Lacksiegel sind beigedruckt.

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Kartoffelernte auf 'Bestenstücken'

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An Korn wurde hier hauptsächlich Roggen, Hafer und Buchweizen ausgesät. Auf dem Hochland, das größtenteils Bestenstücken heißt, lohnt es sich am besten, daher der Name. Hier verfror und vertrocknete es nicht so leicht. Aber auf dem Grauland wuchs ganz schön Korn, nur wog es nicht so viel. Jeder Bauer hatte eine Hasselkoppel und Olkoppel, das war schönes Kartoffelland. Auch ein Stück Störmoor dicht an der Stör, da wuchsen schöne Rüben und Futterkartoffeln. Da sind noch mehr Namen auf der Flurkarte: Damskoppel und Möölenbrügg. An dem Weg nach der Stör hin geht ein kleiner Bach. Der Weg daneben ist der Damm gewesen. Daher der Name. Anzunehmen ist auch, dass da vor vielen Jahrhunderten an dem Bach eine Mühle gestanden hatte. Daher der Name Möölenbrügg und Möölenkamp. Dann gibt es noch Winnloh, Lohholt = Wald an der Grenze; Lietkoppel = Koppel an der Lieth; Hönerkampen, die liegen warm am Wald. Da haben wohl die Rebhühner im losen Sand gebuddelt und sich das Fressen in den angrenzenden Brooken gesucht. Moosbrook, der etwas höher gelegen und mit Moos bewachsen ist; Bekwisch = Wiese am Bach; Heidkoppel = Koppel in der Heide; Heideschen = Eschen in der Heide; Reetbrook = in dem Brook hat Reet gewachsen; Hochwurt = Anhöhe. Vielfach haben sie auch den Namen nach der Figur bekommen, zum Beispiel: Kielkoppel, Krückenkoppel, Soldotenhot, Kapuz und  Dreeangel.

Die Wälder sind ursprünglich Laubwälder gewesen, hauptsächlich Eichen. Da war der Lietbarg, Krücken, Horn, Dauhorn, Eggerskroog und Apenrad, der letzte Wald vorm Dorf von wo man oben Rade sehen konnte.

 

Nach der Reichsgründung 1871 wurden gusseiserne Ortsschilder eingeführt. 

 

Die Koppeln wurden achtzehnhundert in den Siebzigern vermessen. Da kam auch das Katasteramt. Die Grenzen der Koppeln sind mit schönen Knicks bepflanzt, wo die kleinen Vögel gern bauen. Die Wiesen sind durch breite Gräben markiert. Steine sind nicht viel gesetzt worden, nur an den Dorfgrenzen.  

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Infolge der Urbarmachung der Felder und der Rodungen diente die Bepflanzung der Knickwälle dem Windschutz. Die Büsche wurden abgeknickt und als Zäunung  miteinander verbunden.

Die Landschaft prägenden Knicks wurden hier zum einzigartigen Naturraum für eine vielfältige Fauna und Flora.

Der Begriff 'auf Biegen und Brechen' hat hier seinen Ursprung.

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Letzte Reste dieser ursprünglichen 'Knickkunst' findet man noch auf alten, erhaltenen Knicks. 


 

Für die Errichtung der Grenzknichs:

 

die 'Öcconomisch-practische Anweisung' 

klick hier

 

 

Die Hälfte der Wiesen wurde einmal gemäht und nachher begrast, das andere wurde zwei Mal gemäht. Jeder hatte eine Stauwiese, da kam immer eine Menge Heu runter.  

Roggen war immer die Hauptfrucht, wobei der größte Teil verkauft wurde. Hafer und Buchweizen gab es nicht so viel. Kartoffeln wurden auch viel verkauft, Rüben wurden nur ein paar gepflanzt. Auch ein kleines Stück mit Weizen, Gerste, etwas Leinsaat und Hanf wurde ausgesät. 

Für die Kühe wurde zur Hauptsache Roggen- und Haferschrot verfüttert, aber nur die gekalbt hatten bekamen etwas. Die Schweine bekamen Roggen- und Buchweizenschrot. Viele Schweine waren da nicht. Paar Säue und wohl 10 wurden fett gemacht; die Hälfte wurde für den Haushalt geschlachtet und die anderen verkauft. Ganz früher waren die Schweine die halbe Zeit im Wald und fraßen sich an den Eicheln und Bucheckern fett. Im gräflichen Hofwald in Rosdorf sind noch  paar Stellen mit Wällen erhalten, wo die gräflichen Bauern angewiesen worden waren, ihre Schweine zu hüten.

An Kühen sind hier wohl immer die rotbunten gangbar gewesen. Die Pferde hatten meist dänischen Einschlag. Die Schweine waren große Schlappohrige. Jeder Bauer hatte 4 – 6 Schafe, damit er Wolle im Haushalt hatte. Auch hatte jeder ein paar Bienenstöcke. An Federvieh waren da Hühner, Enten und Gänse. Die Enten und Gänse wurden hauptsächlich wegen der Federn gehalten. Allerdings wurde die fette Martinsgans auch nicht verachtet.

Bei jeder Bauernstelle war meist ein freistehender Backofen. Die Arbeiter auf der Nachbarschaft konnten auch damit backen. Das Roggenmehl wurde ausgesiebt und Brot und Deverschnitt davon gebacken. Von dem angebauten Weizen wurde Stuten gebacken; von der Gerste und dem Buchweizen wurde Grütze und Mehl gemacht, so viel wie gebraucht wurde. Morgens gab es immer Buchweizengrütze und abends gebratene Buchweizenklöße. Das war eine Derbe, aber gesunde Kost.

Es wurde nicht viel dazu gekauft; sie konnten es nicht und das tat auch nicht nötig. Was sie zum Lebensunterhalt brauchten, hatten sie meist alles selbst, auch ihre Kleidung. Aus einem Gemisch von Schafwolle und Leinen wurde Beiderwand, Fiefkamp und Twetritt gemacht; von der Wolle wurden Strümpfe gestrickt; aus Flachs und Heede, fein und grob, Leinen gesponnen. Das Zeug hielt ein Leben lang aus. Sie sagten damals: Was ich nicht bezahlen kann, darf ich mir nicht kaufen. Das müsste heute noch so sein. Ein Versprechen galt mehr als heute ein großer schriftlicher Vertrag.  

Nach diesem Muster des niedersächsischen Bauernhauses waren hier auch alle alten errichtet worden. Später hat die Bauernfamilie ihre eigene Wohnung ausgebaut, die immer der Straße abgekehrt war. Die Kuhställe wurden durch Anbauten um 1900 erweitert. Wie das Dach wurden dabei auch die Seiten im oberen Bereich in Blech ausgeführt. Nach einem Feuer wurde das alte Gebäude häufig abgerissen und durch ein 'moderneres' ersetzt.

 

Die Hofstellen im Dorf sind mit großen Eichen und Linden bepflanzt, einigen uralten, die wohl manchen Sturm erlebt und überstanden haben. Alle Bauernhöfe sind alte Familienhöfe, die ich nachfolgend beschreiben will. An Gebäuden war das ein Wirtschaftshaus mit Wohnung. Die Pferde und Kühe standen an der großen Diele. Vor den Ställen waren Klappen, die beim Futtern hoch gemacht wurden. 

Die Diele, wo wintertags  mit einem Flegel gedroschen wurde, war so groß, dass da bequem 4 Kornwagen stehen konnten. Das war für die Kinder ein besonders schöner Spielplatz zum Versteckspielen. Die kleinen Mädchen spielten Ringelreigen, die Jungen Pferd und Soldat. Auf den Steinen neben der Großtür, wozu man Hun (Hunde) sagte, da saß es sich so schön und das Butterbrot schmeckte da noch mal so gut. Eine Hillenleiter stand immer auf der großen Diele zum Raufklettern auf die Hillen (seitlich über den Ställen) Da wurden dann Eier gesucht. Die Hühnerwieben waren hier auch. Hier oben war es ja immer schön warm. Von den Pferdehillen, wo das Heu drauf war, wurde ein wenig Heu auf die Röög geworfen und die weichen Samtlippen der Pferde bewundert. 

Eine lange Leiter ging auf den Hochboden wo die  jungen Katzen herumkletterten und spielten. Jedem gehörte eine kleine Katze und man hatte auch einen Namen für sie. Wenn es keiner sah, dann wurde da oben raufgestiegen und dann mit viel Mühe über das Haferstroh geklettert zum Eulennest. Obwohl sie eine gewisse Angst vor den Eulen hatten, wurde es doch immer wieder versucht. Die Kinder waren bange gemacht worden, dass die Kattul (Schleiereule) mit ihrem großen Gesicht ihnen die Augen auskratzen.

Die Knechtenkammer lag neben dem Kuhstall. In der Wand war eine kleine Luke, die nachts offen war, damit sie hören konnten, wenn im Stall etwas los war. Neben dem Pferdestall war die Deernskammer. Und dann kam der Keller. Die Küche war auf der Großdiele. An der Decke hingen Speck und Würste. Es waren ja auch Rauchhäuser. In der Mitte der Küche war ein Schwibbogen (Rauchfang) mit einem offenen Herd, wo der kupferne Kaffeekessel hing. An den Wänden waren Richen mit Wasserkesseln, alle aus Messing und Kupfer, Zinnteller und Bierkrösen. Das war der besondere Stolz der Bauersfrau. An den Seiten standen alte Eichenschränke und Koffer mit kunstvollen Messingbeschlägen. In der Döns, wo weißer Sand gestreut wurde, war ein Beilegerofen mit bunten Kacheln. Die Wände waren mit Paneel benagelt oder wie man heute sagt, getäfelt. Auf jede Tafel war ein schmucker Blumenstrauß gemalt. Zwei Betten waren in der Wand (Alkoven) mit Schiebetüren davor. Eine große Uhr mit zwei blanken Messing-Loten hing da und vielfach der eingerahmte Brautkranz der Bäuerin. Über den Stuben war der Kornboden; da wurde auf den Hochboden das Korn raufgestakt.

Neben dem Kuhstall lag der Misthaufen, schön vierkantig wie ein großer Kasten aufgepackt. Hinter dem Haus stand meist eine Reihe Lindenbäume, so dass das Haus knapp zu sehen war, zum Schutz gegen Wind und Flugfeuer. Dann kam der schmucke Krauthof mit den Blumenrabatten und allen möglichen Blumen: Schneekieker (gelbe und weiße), Zettelröschen, Botterbloom, Karkenflötel, Dusenschön, Blaukülen, Osterbloom, Eidotter, Rüükveilchen, Buurrosen und noch mehr. An Sträuchern waren da: Jasmin, Sneeballen, Goldregen und Pfingstrosen. Im Sommer kamen die Georginen und an Herbsttagen die Astern.  An dem Krauthof, der man klein war, kam der Gemüsegarten und daneben der Apfelhof. Der Bauer holte sich Ableger von den Holzäpfeln und veredelte sie mit Sorten, die hier gut trugen. Das waren Striepappeln, Pannkokenappeln, Bruutappeln, Augustappeln, Melonen und Grafensteener. Beeren waren da frühe und Winterbeeren. Ein ganz alter Birnbaum stand auf dem Hofplatz. Die meisten Pflaumenbäume mit blauen, roten oder gelben Eierpflaumen waren sehr alt und schief geweht, trugen aber tüchtig.

In der Scheune war ein Grundfach, ein Wagengang, Fohlen, Jungtier- und Schafstall, eine Klüterkammer, sowie Eggen, Pflüge und ein Gelass für Holz und Torf. Auch wurde hier das Heu eingefahren.

Der Schweinestall hatte 4 – 6 Boxen. Auf den Boden gehörte das Buchweizenkaff, das zum Schweinefutter dazu kam. Neben dem Stall war die Backstube mit Backofen, einem Schmorkessel und Waschgrapen.   

Eine Altenteilerkate mit Kuh- und Schweinestall an der Großdiele stand neben der Hofstelle. Der Altenteiler hatte meistens 3 Kühe, paar Schweine und so viel Land, dass er seine Tiere gut durchbekommen konnte. Die Arbeit musste alles der Bauer machen.

Die Dächer aller Gebäude waren mit Reet gedeckt, nur auf dem Schweinestall war ein Pfannendach. Das Haus, die Scheune und die Kate waren Fachwerk. Nur der Schweinestall hatte Brandmauern.

Der Arbeitsgang auf dem Hof war so: Im Winter wurde morgens um 5 Uhr aufgestanden. Die Mädchen mussten erst melken, der Futterknecht musste den Mist aus dem Kuhstall karren. Das war, wenn es sehr kalt war, eine langweilige Arbeit. Die Stalltür musste immer schnell wieder zu gemacht werden, damit die Kühe sich nicht erkälteten. Wenn die Mägde ausgemolken hatten, musste er den Mist rausheben und den Kühen Heu vorgeben. Die Knechte mussten die Pferde füttern und in der Zwischenzeit mit dem Schlegel rumdreschen. Im Kuhstall hing nur eine kleine Leuchte am Nagel, davon konnte man nicht viel sehen. Auf der Diele war die Leuchte ein wenig größer und hing an einem Pfahl mit einem Klotz dran. Viel Licht brauchten sie aber auch nicht. Der Futterknecht wusste  genau, wo das Haferstroh lag.

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Sämtliches Korn und Gras wurde mit der Sense gemäht, bis Ende 1870  die ersten Mähmaschinen kamen.
Von den Knechten wurde vom Herbst bis zum Frühjahr mit dem Flegel im Dreiklang - "klipp - klapp - klipp" gedroschen- .

Ende 1870 kamen zuerst die Pferdedreschmaschinen mit Göpelantrieb, 

etwa 10 Jahre später, die Dampfdreschmaschine

In den letzten Jahren hat man statt der Lokomobile einen Trecker verwendet, der mit Öl betrieben wird. 

   

Auch wird jetzt in vielen Betrieben die Elektrizitätskraft ausgenutzt.

.Ganz früher wurde mit den Händen gebuttert, später mit einem Hund. Ein großes Tretrad war auf der großen Diele, in das der Hund reinkam und durch sein Gewicht das Rad in Gang bringen musste. Durch ein Gestänge war das Tretrad mit der Butterkanne verbunden. Jeder Bauer hatte 2 große Hunde zum Buttern.

Wenn abgebuttert war wurde in der Stube gesponnen. Das war den ganzen Winter hindurch eine Hauptarbeit. 

Buttern und Käse backen wurde praktiziert, bis die Meiereien kamen, die erste in der Umgebung 1879  auf dem Weidenhof. 

Nachmittags wurde rechtzeitig aufgearbeitet, wie man so sagte; denn bei Tag musste die Arbeit mit der Futterei fertig sein. Das Licht war zu teuer und knapp. Achtzehnhundert in den Achtzigern kamen die Meiereien auf; die Milch wurde auf der Meierei abgebuttert. Auch das Spinnen fiel weg. Das Flachs und Heed kam in die Spinnereien, wovon es immer mehr gab. Für die Bauersfrau wurde es viel leichter. Die Knechte mussten mit den Flegeln dreschen, so lange etwas auf dem Boden war. Dann ging es an die Feldarbeit.

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Die Entlohnung bestand ursprünglich größtenteils nur aus Naturalien, bei den Mädchen aus Leinen, Wolle, Beiderwandröcken, Schürzen und Jacken. Sie brachten dann oft eine ganze Lade voll Zeug und Leinen mit in die Ehe, genug fürs ganze Leben.

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Das Jölfeiern war damals schon Mode, und ist es auch heute noch teilweise geblieben. Wenn der Bauer mit seiner Frau ausgefahren war, kamen die Knechte und die Mägde aus dem ganzen Dorf zusammen. Nachmittags bekamen sie Bescheid, dass sie nach dem Abendessen gleich kommen sollten. Eine Flasche Korn wurde dann aus dem Krug geholt und rumgetrunken. Auf der großen Diele wurde getanzt. Einer spielte Handharmonika oder es wurde auf dem Kamm geblasen und dabei wurde tüchtig gesungen. Das war denn ein Hauptfest. Einer musste draußen Wache stehen und aufpassen, wenn da ein Wagen angerumpelt kam. Wenn der Bauer das denn war, verschwanden alle schnell und die Lichter wurden ausgemacht. Alles war in guter tiefer Ruhe, so dass der Bauer den Großknecht zum Ausspannen knapp aus dem Schlaf kriegen konnte. Der Bauer wusste aber Bescheid, sagte aber nichts. Er hatte es in jungen Jahren auch so gemacht. Sie konnten gern mal Jöl feiern, aber das musste bei der Wies bleiben. Das Haus stand denn wenigstens nicht allein. Größere Familienfeste wurden auch auf der großen Diele gefeiert. Dann wurden Hackschnitzel auf den Fußboden geschüttet, damit das Tanzen besser ging.

Die Trachten waren früher nett, einfach und haltbar. Der Bauer in seinem Sonntagsstaat hatte einen langen Mantel an aus Beiderwand, meistens dunkelblau, eine rote geflochtene Weste mit silbernen Knöpfen, eine kurze lederne Hose, auf jeder Seite ein paar silberne Knöpfe, helle Strümpfe und Halbschuhe und denn eine Meerschaumpfeife mit einem silbernen Deckel dabei. Das war ein schmucker Anzug. Die Frauen erschienen in allen Farben. Grasgrüne, braune oder blaue Beiderwandröcke mit silbernen Streken, schwarze Samtmieder, seidene Jacken, lila Schürzen und die bunten Bauernmützen in bunter Farbenzusammenstellung: rot, grün, blau und silbern mit ein paar seidenen Bändern dran, das war die Tracht der Frau.

Wenn ein Brautpaar zur Kirche fuhr, dann wurde mit Pulver und Papierproppen geschossen; das bedeutete Glück. Jeder Bauer hatte so eine Donnerbüchse auf dem Kornboden liegen.

Die Bauernhöfe sind alle so 200 Jahre und darüber in Familie gewesen. Der Name wechselte hier und da, das kam aber davon, wenn ein Bauer nur Mädchen hatte und sich einer in den Hof reingeheiratet hat.

Sehen wir unser Rade nun mal an. Zuerst von Kellinghusen her links, wohnt Bauer Thun. 

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Der Thun-Hof

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Der Name ist nun in der 3. Generation. Der vorletzte Thun, mit Vornamen Heineri, ist 30 Jahre Bauernvogt gewesen und ist auch sonst zu Ehren gekommen. Der erste, Hermann Thun, hat sich da reingeheiratet. Vorher haben da Jochen Carstens, Hans Gloy, Jürgen Delfs, Hans Fölster, Hinnerk Schlüter und Detlef  Schlüter gewohnt. An der alten Kate, wo ich nachher drauf zurück komme, Steht „Detlef Schlüter 1735“ dran. Der Name Thun stammt aus Willenscharen und Wiedenborstel. Ganz früher, so ist mir gesagt worden, soll er aus Bayern stammen und adlig gewesen sein; das liegt aber wohl sehr weit zurück. Die Häuser haben sonst weiter im Dorf, im Wischhoff gestanden. Zweimal ist da der Blitz reingegangen und abgebrannt, zuletzt 1905. Da hat Heineri Thun die Häuser an der  Straße hin gebaut

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Der Loop-Hof

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Auf der anderen Seite liegt ein Bauernhof von alten Eichen eingerahmt. Da wohnt Bauer Loop. In der 4. Generation trägt der Hof jetzt den Namen. Vorher hat da ein Gloy gewohnt und da hat sich ein Loop reingeheiratet. Im Klosterarchiv in Itzehoe kann der Name Gloy bis 1556 in Rade zurückverfolgt werden. Vielleicht geht er ja noch weiter zurück, aber das Archiv geht nur bis 1542. Der erste hat Clawes Glöw geheißen. Der letzte Gloy, Harm, hat die Stelle 1812 von seinem Verwandten Claus Gloy übernommen. Der stammte vom Holzhof von Klein-Sarlhusen. Der Holzhof liegt direkt an der Stör. Da wurde früher Holz verladen. Daher der Name. Die adligen Bauerstellen mussten da ihr Holz verladen. Das kam dann auf einen kleinen Ewer nach Hamburg. Der Name Loop aus Latendorf bei Neumünster. Der Namen ist noch da und lässt sich im Staatsarchiv in Kiel über 3 Jahrhunderte verfolgen. Er stammt wohl aus dem Dorf Loop bei Neumünster.

Die Häuser standen früher auf der anderen Seite der Straße im Wischhoff. Nur die Kate hat immer an ihrem Platz gestanden, wo sie jetzt steht. Der erste Loop, der ein sehr strebsamer und sparsamer Mensch gewesen ist, hat 1850 das Bauernhaus bauen lassen, wo es jetzt ist. 1868 hat der Blitz ins Haus eingeschlagen. Es ist aber nicht abgebrannt. Der Blitz ist vorne in den Giebel gegangen, der nachher auf der Hofstelle gelegen hat. Auf den ersten beiden Fächern oben hat Buchweizen gelegen, der ja nicht so leicht brennt. Die Sparren haben geglüht; mit ein paar Eimer voll Wasser haben sie das Feuer gelöscht. Im Kuhstall war eine Ferse erschlagen worden. Der Knecht hatte die Kühe anbinden wollen, und diese Ferse hatte nicht still gestanden. Er war nun erst zu den anderen Tieren gegangen. In dieser Zeit ist der Blitz gekommen.

Der zweite Loop, Hans, hatte viele Ehrenämter. Er hat das zurecht bekommen, dass 1890 - 1892 die Straße von Kellinghusen nach Hennstedt gebaut wurde, wo stellenweise gar kein Weg war. 1894 – 1895 ist auch die Straße von Rade nach Brokstedt über Willenscharen in seiner Zeit gebaut worden, wodurch das Dorf viel besseren Verkehr zur Kirche und zur Eisenbahn bekommen hat. Er ist 43 Jahre  Bauernvogt und 11 Jahre Amtsvorsteher gewesen. Er bekam zum Schluss noch den Kronenorden 4. Klasse für seine Verdienste.

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               Die Altenteilerkate vom Loop-Hof

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1835 ist die Altenteilerkate abgebrannt. Im selben Jahr ist sie dicht bei dem alten Lindenbaum, wohl der älteste Baum im ganzen Dorf, wieder aufgebaut worden. In der Kate, in der kleinen Stube, ist früher die Schule gewesen. Das war eine Klippschule. Hier mussten die Kinder hin bis sie 10 Jahre alt waren. Nachher mussten sie nach Fitzbek, was für die Kleinen ein recht weiter Weg war. Schule war nur im Winter. Im Sommer mussten die Kinder in Haus und Hof mithelfen, so gut sie konnten. Wenn der Schulmeister bisschen laut war, oder einer von den Kindern mal weinte, klopfte Großmutter Loop auf der Diele ans Fenster und fragte, was da los war. So bei Martini rum wurde jedes Jahr ein Schulmeister gesucht und ‚gemietet‘. Er bekam nicht mehr Lohn als die Kuhharder. Er wurde auch nicht lange geprüft, ob er was konnte. Die Hauptsache war, dass er billig war. Er schlief in der Schulstube im Wandbett. Kost bekam er zu, musste aber im Dorf zum Essen rumgehen. Wenn es nun gerade mal zutraf, bekam er die ganze Woche Grünkohl.

Als die Schule hier aufhielt, kam der Nachtwächter Friech Jonas in die Kate. Von abends 10 Uhr bis morgens 4 Uhr ging er auf Nachtwache. Er musste jedes Mal um die Häuser gehen. Um 10 Uhr musste das Licht aus sein, und wenn es nicht aus war, klopfte er ans Fenster und fragte, was da los wäre. Jedes Mal, wenn er rumging, tutete er und sang einen Vers hinterher. Das hörte sich schön an. Er konnte toll singen. Ein großes Tuthorn und seine kleinen Reime waren seine ganze Ausrüstung. Viel Geld hat er nicht bekommen, aber er hatte sonst viel Gutes im Dorf. Er musste mal nach der Ferkelsau sehen und auch, wenn eine Kuh auf den Jungen stand. Zu Weihnachten konnte er im Dorf rumgehen. Dann bekam er Korintenstuten, Butter, Mehl oder einen Schweinebraten. Er war auch Schlachter. Im Sommer arbeitete er ein wenig beim Bauern und backte Torf. Auch hatte er einen großen Bienenhagen. Er schlug sich gut durch. Alle hatten was für Friech übrig. Ein Sohn von ihm ist ein ausgedienter Bahnhofinspektor in Altona gewesen.    

Nun kommt Bauer Gloy auf der anderen Seite. Der Name ist in der 3. Generation. Der zweite, Henning Gloy, hat den Hof von seinem Onkel Hans gekauft. Da war nicht viel Land dabei. Hans Gloy hat das Haus zuerst alleine gehabt. Das Land hat er 1872 bei der Parzellierung von. Carolinenthal dazu gekauft. Er wohnte, so lange wie er gelebt hat, bei seiner Mutter im Altenteil. Sein Bruder, Hinnerk Gloy, bearbeitete das Land, bis er sich 1891 in Lockstedt eingekauft hat. Sein Sohn ist unser Reichsbauernführer. Als Hinnerk Gloy nach Lockstedt zog, bezog Hans das Haus und verheiratete sich und 1899 übergab er das an seinen Neffen Henning Gloy, der allerhand Land von der Stelle seines Bruders dazu bekam. Vordem hat da ein Lohmann, Kröger und Ehler Offen hier gewohnt. Da ist es eine reelle Bauernstelle gewesen. Der hat aber das Land verkauft und auch die Altenteiler Kate, die auf der anderen Straßenseite lag, ein ganz altes Rauchhaus, das 1901 abgebrochen worden ist. 

Hier wohnte zuletzt ein Altenteiler von Carolinenthal, Hinnerk Harms mit seinem Enkel. In dieser Kate ist allerlei passiert. Wenn die hätte erzählen können, wären da schöne Romane zusammen gekommen. (hätte man gerne erfahren!) Rechts von der Straße liegen 2 Arbeiterhäuser von Carolinenthal, in der je 2 Familien wohnten. Die beiden Familien in dem ersten Haus – der Oberschweizer Emil Eggler und der Vorarbeiter Hannis Hahn – wohnen auch schon 30 Jahre hier. In dem anderen Haus wohnte der Gutsgärtner und einer von den Gespannarbeitern. Oben hat Fräulein Trina Siems, eine Tochter von Marx Siems, wovon ich noch erzählen will, eine kleine Wohnung. 

Ein bisschen weiter zurück, wo das Haus steht, stand früher ein ganz altes Rauchhaus, die Weberkate. Da haben 2 Generationen Siems gewohnt, die beide Witwer waren: Marx und Jasper Siems. Jasper hat früher in Brokstedt gewohnt, sein Vater auch schon. Die beiden konnten besonders schön weben. Schmucke bunte Tischtücher, Beiderwand mit seidenen Streken, Fünfkamp, Dreitritt und Inlett mit bunten Streifen machten sie. Sie gingen mit ihrem Tuch zu Fuß ganz nach Kaltenkirchen zum Markt und wurden ihren Kram immer leicht los. Die anderen Weber haben ihnen sogar beim Abmessen und Abschneiden geholfen. Sie haben sich gesagt, wenn unsere Konkurrenz ihre Ware verkauft hat, kommen die Käufer auch bei uns. Jasper hatte die Kate 1843 von Timm Ratjen gekauft, der da 18 Jahre gewohnt hat. Früher war da ein Teich mit Pumpe drauf gewesen. Marx Siems hat das Land 1904 verkauft an die Bauern im Dorf. Auch war da eine Koppel und eine Wiese bei, damit er sich eine Kuh halten konnte. 1912 verkaufte er die schmucke Kate mit den beiden Heckscheunen und der schönen Hofstelle mit den alten Katzbeerbäumen an den Hof Carolinenthal. Das Handweben lohnte sich nicht mehr. Die großen Webereien, von denen immer mehr kamen, machten so viel Konkurrenz. Marx Siems war auch alt, Jungs hatte er nicht, nur eine Tochter.  

 

Der Gloy-Hof  (Straßenansicht 1914)

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Der Gloy-Hof  (Ansicht vom Wischhof 1923)

Bisschen weiter auf derselben Seite ist die Altenteiler Kate von dem Gloy-Hof. Der Hof liegt auf der anderen Seite. Da ist seit 1688 der selbe Namen drauf gewesen. Die Stelle ist früher gräflich gewesen, und der erste, Hans Gloy, soll sie in Konkurs von dem Grafen Rantzau gekauft haben. Das Haus ist in den Inflationsjahren und etwas danach neu umgebaut worden.

Nun kommt eine alte Kate, die gehört zu Carolinenthal. Früher war sie Altensteilerkate des Thun-schen  Hofs. Als die hier unten abgebrannt ist, wurde die Kate mit dem Schweinestall und dem alten Bauplatz an Hof Carolinthal verkauft. Wo das Haus gestanden hatte ist nun ein Gemüsegarten und ein kleiner Teich mit Entenhaus. Vorne am Giebel auf dem Großtürbalken der Kate steht noch eine Inschrift, die aber schlecht zu lesen ist: „Detlef Tomms Schlüter, Anke Schlüter, 15. April 1735,  Laß dir Gott befohlen Sein“. Hier wohnt nun der Chauffier von Carolinenthal, Aug. Pagels. Er hat den Weltkrieg mit gemacht und wohnt schon so 30 Jahre im Dorf.   

Bisschen weiter zurück an dem Stiegstückenweg liegt die frühere Kaufmannskate. 1833 ist sie von Hinrich Göttsche aufgebaut worden. Göttsche ging mit der Kiepe auf dem Nacken von Dorf zu Dorf und kaufte Eier und Butter ein und trug das ganz nach Neumünster. Auch selbstgemachtes Leinen kaufte er auf und verkaufte es, so gut wie er konnte. Seine Tochter Trina verheiratete sich mit Krischan Hein, der Müllergeselle in der Wassermühle in Fitzbek war. Ein Enkel wohnt noch im Dorf; ich komme nachher noch darauf zurück. CHr. Hein wurde nicht alt. Nach seinem Tod verheiratete seine Frau sich mit Marx Harbek aus Lokstedt, der einen Laden betrieb ebenso wie Göttsche. Er ging auch mit der Kiepe von Dorf zu Dorf und kaufte alles auf, was er bekommen konnte, Eier, Butter und Honig. Er schleppte das auf dem Rücken nach Neumünster hin. Auch handelte er mit Braunbier und Kümmel. Bei ihm gab es einen aus dem großen Maaß. Als seine Frau gestorben war, konnte er nicht mehr an sich halten und fiel immer mehr zurück. Der Bier- und Kümmelhandel war sein Ruin. Die Knechte und Mägde gingen da sonnabends und sonntagabends häufig hin und kauften Kümmel und dann bekam Marx immer einen ab. Zuletzt verpachtete er die Kate noch mal an einen Schlachter, der da eine  Schlachterei anfangen wollte, aber das wollte nicht laufen. Rade war für eine Schlachterei zu klein; sein Hauptberuf war aber auch Klempner. Marx starb bald nach einem Schlaganfall. Der Kaufmann Peterich aus Kellinghusen musste die Kate für Schulden übernehmen. Peterich verkaufte das Land an Carolinenthal und die Kate bald darauf an Hans Grewe, die er nach ein paar Jahren auch an Carolinethal verkaufte. Nun wohnt der Verwalter von Carolinenthal da. Die Kate ist wunderschön zurecht gebaut worden und hat das Strohdach behalten. Der Verwalter Hans Rohwer hat den Weltkrieg mit gemacht.

Der Stiegstückenweg war früher ein recht breiter Weg mit einem grünen Dreiangel. Hier war immer der Dorfspielplatz. Da wurde Ballfäng, Ballkrät und Balleck gespielt. Wo jetzt die Altenteilerkate vom Gloy-Hof steht war eine Saagkuhle , ein kleiner Schafstall und ein Backhaus. Hier wurde Versteck und sonst allerlei gespielt. Der Weg war früher ein Hauptverkehrsweg, als die Straße (Hennstedt-Kellinghusen) noch nicht gebaut worden war. Die Dörfer Fitzbek, Willenscharen und Sarlhusen fuhren da immer zur Kirche und mit ihren Produkten zum Markt entlang. (Rade – Oeschebüttel – Schäferkate) Sonntags beobachteten die Jungen die Kirchenwagen und wer die besten und dicksten Pferde vorm Wagen hatte. Die Kirchenwagen hatten meistens einen korbgeflochtenen Kasten mit zwei großen Stühlen darauf. Hinten war ein „Kälberloch“, wo der Futtersack für die Pferde lag.  

Nun kommt der Hof Carolinenthal. Hier haben zuerst mehrere Runge’s gewohnt und nachher ein Harms, der sich gut stand. Er hatte auch einen Hof und eine Wirtschat in Kellinghusen, die nun ‚Altdeutsches Haus‘ heißt. Da wohnte er mit seiner Familie und in Rade hatte er einen Verwalter, der Runge hieß. Der Verwalter mochte gerne mal zu Krug gehen zu Marieken Runge. Wenn sie ihn verloren hatten, saß er bei ihr. Nachher holte er aber die versäumte wieder auf. Einmal in der Buchweizendreschzeit hatte er auch gefeiert und nachher Buchweizen auf die große Diele geworfen. Eine Stövmööl (Staubmühle?) haben sie ja nicht gekannt. Morgens war die Diele aber wieder sauber gewesen, und die Drescher konnten wieder arbeiten.

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Jetzt auf der Hofstelle von Carolinenthal steht dieses stattliche Bauernhaus, das älteste in Rade. Es ist 1622 gebaut worden und sehr gut erhalten. Zur gleichen Zeit ist in Oeschebüttel  ein ähnliches Haus errichtet worden. Hinz, der damalige Erbauer und Besitzer in Rade soll regelmäßig nach Oeschebüttel geritten sein, um die Balken, Sparren und die Qualität zu prüfen, Die Bauherren standen im Wettbewerb, da jeder das stärkere Haus haben wollte. Die Einrichtung der Wohnung (links im Bild) glich einem kleinen Museum. Es hatte einen Beilegeofen mit biblischen Bilderkacheln, alten Mobilien und hübschen Wandmalereien.

 

Harms hat den Hof 1853 an Fritz von Dudden verkauft, der ihm den Namen ‚Carolinenthal‘ gab. Er ließ den Hof herrschaftlich anlegen. Ein feines Herrschaftshaus wurde gebaut mit einem großen Park. Hinter und vor dem Herrenhaus war eine große Freitreppe, wenn sie mit dem Kutschwagen ausfahren wollten, dann ging es durch den schmucken Park. Am Eingang war eine kunstvolle eiserne Pforte, die jetzt vor dem Luisenberger Hof steht. Im Park war ein Teich mit einem Entenhaus drauf. Das Wasser wurde über 200 Metern in Rohren heran geholt.

Dem alten Haus gegenüber wurde eine große Scheune mit rotem Pfannendach, auch mit einem  Schweinestall, gebaut. - Bisschen aus dem Dorf (heute Richtung Hennstedt) wurde eine Ziegelei gebaut, wo schöne haltbare Steine und Pfannen gemacht wurden. Der Hof war auf den Namen seiner Frau eingetragen, die auch das Geld hatte. Ida Amalie von Dudden, geb. von Rönnling hieß sie. Sie war eine dänische Generalstochter und er war von österreichischem Adel. Die beiden hatten nur einen Sohn, der Leo hieß. Als er zur Schule musste, reiste seine Mutter mit ihm nach Altona, wo er eine bessere Ausbildung bekam. Leo hätte sehr gerne eine kleine Schwester gehabt, mit der er spielen könnte. Seine Eltern haben da ein kleines Mädchen angenommen. Die hieß Sophie von Oertel und kam hier ganz klein her. Leo freute sich sehr zu seiner kleinen Schwester. Als sie laufen konnte mussten die anderen Dorfkinder sie immer bewundern. Als Frau von Dudden tot war, holten die Eltern aus  Südhannover die sechsjährige Sophie wieder weg.

Auch hatten sie einmal auf dem Hof eine russische Fürstin aufgenommen, die von ihrem Mann verfolgt wurde. Von Dudden nahm sie hier in Schutz. Warum sie verfolgt wurde kam nie richtig raus. Es hieß, ihr Mann wollte sie ins Irrenhaus bringen; er wollte an ihr Geld. Die Frau nannte sich Frau von Dresden und war schon mit 16 Jahren verheiratet worden. Sie ging immer verschleiert, dass das Gesicht nie zu sehen war und keiner sie erkennen konnte. Einmal als sie mit dem Zug aus Hamburg gekommen ist, soll ihr Mann auch mit im Zug gewesen sein. Sie konnte ihm aber in Wrist entkommen. Ein Jahr ist sie wohl hier gewesen, dann hat sie plötzlich das Haus verlassen. Das war 1871. Frau von Dubben kam damals mit Leo aus Altona zurück.

1872 verkaufte von Dudden die Ziegelei und drei Holzschuppen an Aug. Jauch, Hamburg. Die Ziegelei wurde nachher bald abgerissen. Viel Land wurde verkauft an Bauern aus Rade,  Oeschebüttel und Fitzbek. Auch das Inventar wurde verkauft. Es hatte bei der Anschaffung schon fast 65 000 Mark gekostet.

1873 wurde der Hof an Schümann und Mehrens aus Kellinghusen für 35 000 Mark verkauft. Beide waren Bauern, Schümann zur Hauptsache Schlachter. Sie kauften den Hof als Spekulationsobjekt und setzten ihren Verwandten Schoer als Verwalter ein. Er musste sehr sparsam wirtschaften. Sie wollten ja kein Geld zusetzen. Frau Schoer lebt noch. Sie ist schon 99 Jahre alt, aber geistig noch ganz frisch. Sie hat ein arbeitsreiches Leben hinter sich. Die schönsten Jahre hat sie in Rade auf dem schönen Carolinenthal verlebt, wovon sie immer noch viel erzählt. Bei Schümann waren zwei große Jungen: Gustav und Otto. Die beiden Kamen viel nach Carolinenthal, um zu spielen. Einmal waren sie auch in der Kartoffelernte da gewesen. Als da die anderen Jungen alle auf den Koppeln mit helfen mussten, hatten sie keine Spielkameraden und wollten dann auch Kartoffeln mit sammeln. Aber das hat ihnen nicht behagt. Sie haben sich leise hinterm Knick versteckt und sind nach Hause gelaufen. So ist es, wenn so Stadtjungen etwas sollen und wollen.

1870 wurde der Hof wieder an den jungen von Dudden für 65 000 Mark verkauft. Vermittelt wurde es von dem Juden Heske aus Kellinghusen, der sich dabei 1 000 Mark verdiente. Aus der Spekulation war nichts geworden. Leo freute sich sehr, dass er den Hof seines Vaters wieder hatte, aber durch seine einstige Erziehung hatte er wohl etwas gelitten, denn er war nicht selbstständig geworden. Verheiratet war er nie. Alle wollten ihm eine Frau andrehen. Wenn da eine Braut kommen wollte, wurde auf dem Hof alles schier und sauber gemacht. Die Leute mussten alle mit putzen und scheuern, aber vielmals kam da gar keine. Aber wenn da eine gekommen ist, fragten sie ihn aus und liefen wieder weg. Zuletzt ist es dann doch geglückt. Sie soll aus Itzehoe gekommen sein. Er musste viel mit ihr spazieren reiten. Einmal war er mit ihr nach Itzehoe geritten. Da haben die Soldaten sie alle gekannt. Leo verschuldete sich aber immer mehr. Zuletzt hatte er noch einmal ein großes Fest  in Haus und Hof veranstaltet, um ein bisschen Geld rauszuschlagen. Das war kurz vor Pfingsten. Er meinte, dann würden mehr Leute kommen, denn in Rosdorf wäre Pfingsten auch jedes Jahr ein großes Waldfest. Da war doch eine große Männergesellschaft aus Hamburg gekommen, die auf dem Saal „Tingel-Tangel“ gemacht hat. Das war da hoch her gegangen, so wurde gesagt. Viele Leute seien da gewesen. Alle aus dem Dorf in Rade wollten nun Leo einen Groschen gönnen. Im Haus und Garten wurde eingeschenkt. Abends war im Park ein großes Feuerwerk, so wie es in der ganzen Gegend noch nie gegeben hat. Mit Lampions und Laternen ging es im Park herum. Tischler Schulz aus Oeschebüttel führte es an. Die Leute aus dem Dorf sind wohl alle etwas betrunken gewesen, und dann musste Haddi-Schuster auf den Tisch. Wenn er seinen Teil Grog getrunken hatte, tat er es auch. Er soll es sehr gut gekonnt haben. Mit einem Satz sprang er auf den Tisch und tanzte zwischen den Gläsern und Flaschen herum, ohne etwas zu beschädigen oder umzustoßen. Seine Trina hatte in der Ecke gestanden und geweint, denn am nächsten Morgen ist sie ganz früh gekommen, um zu sehen, ob er Schrammen auf dem Tisch gemacht hatte. Es war aber gut gegangen.

Das ganze Fest hatte aber nichts genützt. Leo war nicht mal auf seine Kosten gekommen. Die Schulden wurden immer mehr, bis der Hof zuletzt verkauft wurde – 1878. Vorn auf dem Hof hatten alle Gläubiger gestanden. Da hatte er nicht raus mögen. Wie ein scheues Reh ist er hinten durch den Park nach Oeschebüttel gelaufen zu seinem Onkel Karl von Kräftig, der auf seinem Hof wohnte. Bei seinem Onkel hat er es aber auch nicht gut gehabt, denn der hatte ihn noch mit seinem letzten Geld ausgeholfen. Auf einer Altenteilerkate bei Bramstedt soll er zuletzt noch Kühe gehütet haben

Hans Gloy, der sein Berater war, hat immer viel von ihm gehalten und ihn nachher auch viel besucht. Wenn Leo ihm seine Not klagte, hat er immer zu ihm gesagt: „Leo, sie müssen beten, immer wieder beten“. Das hat er nachher auch getan. Aber es ist ihm dann noch schlechter gegangen. Zuletzt ist er ganz zu Fuß nach Wien gegangen zu den Verwandten seines Vaters. Seit dem war Leo verschwunden. Wo seine Frau geblieben ist, ist nicht bekannt. Ein Jahr später hat sie noch einmal an ihre frühere Mamsell geschrieben, dass es ihr nun besser ginge. Jahre später, bei 1894 rum, als mein Vater Amtsvorsteher war, kam ein Ersuchen von Leo Dudden um einen Pass. Da freute mein Vater sich. Er hat auch gleich Hans Gloy Bescheid gesagt, dass Leo sich wohl gefangen hatte und nicht im Strudel der Welt untergegangen war. Gleich wurde an ihn geschrieben, und er antwortete aus Petersburg, Rom und Paris. Durch seine Sprachkenntnisse und seinen Namen war er bei einer adeligen Familie als Reisebegleiter angekommen. Auch der Landrat, der sich für ihn interessierte, bekam seinen ganzen Lebenslauf hin.

Als Leo hier damals ausgerückt war, wurde der Hof 1878 an Albrecht Bartmar verkauft. Der war Junggeselle und hatte seine beiden Stiefschwestern hier mit. Die hießen Kettler. Sein Bruder war Großknecht und seine Schwestern führten den Haushalt. 

1881 verkaufte er an I.C. Behrens, der auch den herrschaftlichen Hof in Oeschebüttel kaufte. Behrens hatte mit seiner Frau recht viele Kinder. Es war traurig anzusehen, dass die Jungs alle Ausschlag im Gesicht und an den Händen hatten, so eine Art Lupus. Sie sind alle nicht alt geworden und mussten alle Augenblicke nach Kiel und an Nase und Ohren operiert werden. Die Mädchen dagegen waren alle rein, schmuck und stattlich. Bei Behrens war es geldlich immer sehr knapp. Er hatte eine große Familie und die Jungen kosteten eine Menge Doktorgeld. Er wollte immer gern verkaufen, konnte aber den richtigen Käufer nicht finden. 

1888 konnte er die beiden Höfe mit dem Gut Hartenholm vertauschen. Da kam hier ein Besitzer her, der Ludwig Paull hieß. Er war Junggeselle und ein schlaksiger Mensch. Er hatte fast jeden Tag einen anderen Anzug an, alle großkariert nach englischem Muster. Er konnte den ganzen Abend bei einem sitzen und kein einziges Wort sagen. Einmal war er im Dorfkrug gewesen und hatte seine Geldtasche herausgeholt und sein Geld gezählt. Er hatte über 70 Tausendmarkscheine bei sich und anschließend die Tasche da vergessen. Am anderen Morgen beim Saubermachen haben sie sie gefunden. Fräulein Tietje hat sie ihm wieder gebracht, und er hat geschmunzelt, aber einen Finderlohn hat er nicht gegeben. Er war sonst ein ganzer Schlauberger. Wenn er neue Leute bekam, probierte er gleich aus, ob sie ehrlich wären. In der Stube legte er etwas versteckt Taler hin, auch auf dem Hof und im Stall machte er es so. Waren sie am anderen Tag weg und es meldete sich niemand, dann wusste er Bescheid. Große Hunde hatte er immer bei sich, aber von Landwirtschaft verstand er nicht viel. Ein Jahr ist er auch nur hier gewesen. 

1889 verkaufte er den Hof Carolinental  an einen Freiherrn von Schleinitz. Der ist von ganz altem Adel. Mit ihm und seiner Frau war es ein ganz seltsames Verhältnis. Als sie hier her kamen war er 28 und seine Frau 56 Jahre alt. Er war ihr zweiter Mann und die Ehe war so zusammen gekommen: Frau Baronin war die Tochter von General von Bonin und hatte viel Geld. Der Hof war auch auf ihren Namen eingetragen. In der ersten Ehe hatte sie sich aus dem Adel geheiratet und hatte den Rittergutsbesitzer Derkow in Hinterpommern geheiratet. Mit dem Mann hatte sie zwei Söhne gehabt, die in Schleinitz Alter und viel mit ihm zusammen gewesen waren. Ihr Mann starb und ihre beiden Söhne auch. Von Schleinitz war auf dem Hof in Hinterpommern Inspektor gewesen,  und weil er ein schmucker Kerl und von Adel war, heiratete sie ihn und er heiratete ihr Geld. So war beiden geholfen. Sie zogen aus Pommern raus und kauften sich hier an. Das Eheleben war aber nicht besonders. Durch die vielen Schicksalsschläge, die sie hatten, führten sie ein ganz zurück gezogenes Leben und kamen wenig raus. Wenn sie ausging, hatte sie im Sommer und im Winter immer einen weißen Sonnenschirm dabei und hielt ihn immer so hin, dass man sie nicht ansehen und grüßen konnte. Sonst war sie sehr christlich, fuhr viel in die Kirche und dann musste ihr Mann immer mit. Sie hatte ihr eigenes Pferd und eigenen Wagen, der nur genommen werden durfte, wenn sie ausfahren wollte. Die Pferde ihres Mannes waren ihr zu mager. Auch hatte sie ihr eigenes Livree für den Kutscher. 

Von Schlichting war ein ostpreußischer Junker, ein ganz verwegener Fuhrmann und Reiter, der keine Gefahr kannte und Hindernisse gab es für ihn nicht. Sein Bauernspielen war aber auch nicht besonders. Das kam wohl davon, dass das Geld immer knapp war. Er schinierte sich nicht vor der Arbeit. Er mähte, säte und fuhr Mist, doch auf der Koppel mochte er nie alleine sein, sein Knecht August musste immer mit. Auch mochte er gern handeln, am liebsten mit Pferden und Hunden. Er hatte viele Hunde, die waren immer bei ihm rum, große und kleine. Einmal war er mit dem Wagen nach Neumünster über die Torfbrücke gefahren, die bei Sarlhusen über die Stör geht und blieb ein paar Tage dort. In der Zeit gab es einen tüchtigen Gewitterschauer, dass die Stör gleich überschwemmt und die Wiesen blank waren. Als er nun wieder zurückkam, war die Brücke gar nicht mehr zu sehen gewesen. Mit dem Wagen ist er durch die Stör gefahren. Die Pferde mussten schwimmen, das Wasser lief auf den Wagen und der begann abzutreiben. Da wollte sein Johann, der Kutscher, ins Wasser springen. Schlichting hat ihn aber am Arm gehalten und  gesagt: “Polacke, sitz fest, wenn du ersäufst, ersauf ich mit.“ Sie hatten das Ufer glücklich wieder zufassen bekommen.

 

Nach einem Jagdausflug hatte von Schlichting damals im alten im Krug wieder einen über den Durst getrunken. Als er einen Landstreicher sah, ließ er ihn zur Belustigung der Umstehenden nach Wild-West-Manier tanzen, in dem er mit seiner Büchse vor ihm auf den Boden schoss.

 

Die Landwirtschaft ging aber immer weiter zurück. Da wollte er es noch mal mit dem „Borstenvieh“ versuchen, wie er zu sagen pflegte. Da kamen reinrassige Schweine aus England, Yorkshire und Berkshires, aber das wollte nicht gehen. Sie wollten nicht von allein fett werden und Schrot wurde nicht gekauft. Seine Frau wollte kein Geld mehr rausrücken.

1895 wurde der Hof an einen Herrn Reiners aus Brake bei Bremen verkauft. Herr Reiners hatte eine Schiffstaufabrik gehabt, die abgebrannt war. Mit Reiners und seiner Frau war es das Gegenteil als mit dem Baron und seiner Frau. Reiners war schon in den siebziger Jahren, hatte die dritte Frau und die war erst in den dreißiger Jahren. Mit dieser Frau hatte er einen kleinen Jungen, der Bauer werden sollte. Er ließ es alles auf dem Hof nett reparieren. Auch das Land wurde gut bearbeitet, so dass der Hof ein ganz anderes Gesicht bekam. Leider hatte der Mann kein Glück. Als sein Sohn 6 Jahre alt war, fiel er aufs Eis, bekam Gehirnerschütterung und starb. Reiners und seine Frau waren kopflos und verkauften 1899 den Hof an Herrn Brettschneider.

Herr Brettschneider war Großkaufmann in Hamburg und hatte ein großes Vermögen. Alles wurde auf dem Hof verbessert. Das Geld spielte gar keine Rolle. Am Herrenhaus wurde ein Flügel angebaut. Der Park wurde mit einem neumodischen Treibhaus ganz frisch angelegt. Die Stube im alten Bauernhaus wurde altmodisch ausstaffiert. Ein neues Kuhhaus, ein Schweinehaus und ein Wagenremis wurden gebaut und auch ein verdeckter Misthaufen. Alles wurde sehr gut gemacht. Maschinen wurden gekauft, auch teure Pferde und Kühe. In der ersten Zeit wimmelte es auf dem Hof nur so von Handwerkern. Drei kleinere Zwei-Pferdestellen wurden zugekauft und auch von den Bauern allerlei Land und größere Holzbestände, so dass der Hof wohl zweimal so groß wurde. Wiesen und Weiden wurden trocken gelegt und eben gemacht, dass es ein Musterhof wurde. Weihnachten 1908 starb Brettschneider. Nach seinem Tod behielt seine Frau den Hof. 1928 ist sie hier auf dem Hof gestorben. Sie wohnte nur im Sommer hier, im Krieg und danach aber das ganze Jahr. Nach ihrem Tod bekam ihr Sohn den Hof, der aber nur im Sommer hier war, sonst war er in Hamburg und betrieb sein Kaufmannsgeschäft. Er starb 1934 mit 61 Jahren und hatte nicht viel gut von seinem Hof gehabt. Sein Sohn hat ihn wieder geerbt. Der wohnt aber auch in Hamburg bei seiner Mutter und ist unverheiratet. Auf dem Hof ist ein guter Verwalter und alles geht seinen regelrechten Gang.

 

1938 kaufte Porcher von Thielen, Enkel des früheren Eisenbahnministers, das Gut.

Das Herrenhaus vom Park aus gesehen

Bisschen weiter längs am Bach wohnt der Dorfschmied. In der dritten Generation ist hier der Name Bestmann. Hier hat früher das Harderhaus gestanden. Im Klosterarchiv in Itzehoe ist davon schon 1542 von geschrieben worden. Der Wischhoff ist die Melkstelle gewesen, wo der Kuhharder die Kühe aus dem ganzen Dorf zusammen getrieben hat.

Weiter längs an der Straße, die Twiet heißt, liegt ein Haus mit einem Schweinestall. Hier wohnt Hermann Hein. Er hat den Krieg auch mit gemacht. Vorher hatten da ein Jansen und ein Baufeld gewohnt. Der letzte kaufte die kleine niedliche Strohdach Kate von Clas Büntz. Der riss die Kate nieder und baute sie neu wieder auf. Cl. Büntz gehörte nach Wiedenborstel hin auf den großen Kohn-schen Hof. Sein Sohn, der nun in Hamburg wohnt, hat mir mal erzählt, wenn sein Vater sich nicht so früh verheiratet hätte, wäre er Bauer in Wiedenborstel geworden. Da hat früher ein Büntz gewohnt. In den ersten Jahren als er verheiratet war, ist er immer nach Wiedenborstel zum Arbeiten gegangen. Vor Clas Büntz hat ein Steen und Bartels in der Kate gewohnt. 1827 hat Bartels von Harm Gloy’s Wiese ‚Grotenhoff‘ eine Ecke für seinen Garten bekommen. 18 Quadrat-Root für 50 Mark. Dafür musste er jedes Jahr, so lange er lebte, in der Ernte Roggen mähen. Aufbinden musste er für die Kost. 1873 hat Clas Büntz 9 Aar -72 Quadratmeter – zu gekauft. Was das gekostet hat, ist nicht bekannt geworden.   

Das Haus, das nun kommt, gehört zu Carolinenthal, die die Zweipferdestelle dazu gekauft hatten. Früher haben hier Chr. Gehrken, Johann Biehl und zwei Generationen Bestmann gewohnt. Da war hier auch die Dorfschmiede. Vorher ist da ein Schmied Stäcker drauf gewesen. Nun wohnt hier Friedrich Lahann schon 30 Jahre. Sein Vater hat hier auch schon in Rade gewohnt und vorher in Fitzbek. Auch Friedrich hat den Krieg mit gemacht.

Nun kommen wir in die andere Straße, die Steendamm genannt wird. Zuerst kommt da ein kleines nettes Haus, das Paul Tietje aus Kellinghusen gehört. Früher war er hier Maler und hat nun das Haus vermietet. Als das Haus gebaut wurde, ist im Krug (nebenan Törper) groß Richtfest gefeiert worden. Da waren viele Leute zusammen gekommen. Auf der großen Diele waren Tische und Bänke hingestellt worden. Da gab es Kaffee und Korintenstuten-Butterbrot, Puffer und Teekuchen. Jeder konnte so viel essen, wie er mochte, und einige haben sich dann allerhand zu Gutes getan. Nach dem Kaffee wurde rüber gegangen zum Haus und der Kranz raufgesungen. Dann hielt der Zimmergeselle die Richtrede. Er hatte seinen großen Hut abgenommen und sah immer vor sich runter. Die Rede hatte er in seinen Hut gelegt und las sie ab. Nach der Rede wurde eine Flasche Wein hinunter geworfen, was Glück bedeutet. Dann wurde im Krug tüchtig getanzt. Draußen auf der Bleekstelle war ein Tanzzelt aufgestellt worden. Auch eine Kegelbahn, die erst neu angelegt worden war, wurde tüchtig gebraucht. Das war ein schönes Dorffest.  

 

Dieses war der alte Dorfkrug, bevor Clas Törper das Anwesen und das kleine Häuschen im Hintergrund auf der anderen Straßenseite kaufte. Clas Törper riss den Dorfkrug ab und baute neu. 

Denn kommt ein Haus, da wohnt Clas Törper. Er hat auch den Krieg mit gemacht. Jasper, sein Vater hat sich hier angekauft und das Haus gebaut. Das alte war baufällig und abgebrochen worden. Vor Törper wohnten hier zwei Generationen Tietje und weiter zurück Runge und Harder. Auf der Stelle war früher der Dorfkrug und eine Grützmacherei am Bullenbach. Bei Harder war nur ein Junge, der hieß Johann. Er war recht weit mit seinen Gedanken zurück, deshalb bekam seine Schwester Marieken die Stelle, die sich mit einem Runge verheiratete. Marieken war eine beachtliche Wirtsfrau, die die Gäste schön unterhalten konnte. Vor allem mochte sie gerne Karten spielen, auch als sie schon im ‚Abschied‘ war. Mariekens Tochter verheiratete sich mit Paul Tietje. Nachher übernahmen drei von seinen Kindern die Stelle, Hannis, Maria und Clas, die nie verheiratet waren. Zuletzt verkauften sie die Wirtschaftskonzession an Paul Andersen.

Bei Paul Tietje war mal eine politische Versammlung, wo ein Sozialdemokrat gesprochen hat. Das ganze Dorf war da gewesen und auch von den Nachbarsdörfern waren Zuhörer gekommen. Beim Sprechen hat der Redner immer mit der Hand geschlagen und mehrmals zu Marx Harbeck rüber gezeigt. Marx war der Höker im Dorf und mochte gern einen kleinen Grog. Die Bauern, die Marx hoch nehmen wollten, sagten ihm: "Der hat mit dem Finger auf dich gezeigt, das lass dir nicht gefallen." Als die Versammlung aus war, wurde in die Stube gegangen zum Reden und Trinken. Immer wieder wurde Marx angestoßen und angeheizt, bis er zuletzt auf den Redner los ging und sagte:“ Du hast mit dem Finger auf mich gezeigt. Das lass ich mir nicht gefallen. Du sollst was auf die Schnauze haben, du!“  Der Redner war stillschweigend sehr schnell weg gelaufen, sonst hätte er wohl ein blaues Auge bekommen und die anderen hätten sich gefreut. Das war der erste Sozialdemokrat hier im Dorf gewesen, denn die Leute waren hier doch alle konservativ.

Im Sommer 1879 ist am Krug mal eine große Überschwemmung gewesen. Ein Wolkenbruch und ein Gewitterschauer hatte den Hennstedter Fischteich durchbrochen. Die Wiesen schnell blank gewesen. Beim Krug, wo der Bullenbach einen Bogen macht und eine Brücke rüber ging, hatte sich das Wasser gestaut. Die Brücke war bald zerstört, so dass kein Wasser mehr ablaufen konnte. Es war so hoch gestiegen, dass die Enten auf der großen Diele schwammen. Die Krögersch sah ganz schrecklich aus und hatte auf der Treppe gesessen und geweint. Am anderen Tag war alles wieder abgelaufen und hatte nicht besonders viel Schaden gemacht.

Im Krug war das immer sehr gemütlich. Sonntagnachmittags, wenn die Bauern im Feld rum gewesen waren, ihr Korn und Vieh besehen hatten, wozu alltags keine Zeit war, wurde noch ein paar Stunden zu Krug gegangen. Da wurden Neuigkeiten ausgetauscht und bisschen gekegelt. Auch Fitzbeker und Lockstedter kamen mit rüber.

Das kleine Pfannenhaus auf der anderen Straßenseite, das nun kommt, ist durch das Erbhofgesetz das Altenteilerhaus von Törper geworden. Hier wohnt Clas Törper, seine Mutter und Schwester. Das Haus hat der Schneider Hans Kröger gebaut, der nachher mit seiner ganzen Familie nach Amerika ging. Er ist noch drei Mal wieder hier gewesen. Er sagte immer, die deutsche Fahne zog ihn wieder in die Heimat. Das letzte Mal hat er eine mitgenommen. So ist das, ein alter Baum ist schwer zu verpflanzen. Hans Harbek, ein Sohn von Marx Harbek, hat das Haus auch gehabt.

An diesem Haus ganz dicht dran stand früher eine ganz uralte Kate, die 1801 wegen Baufälligkeit abgebrochen worden ist. Auf dem Großtürbalken stand eine Inschrift, aber was das geheißen hat, ist nicht mehr festzustellen. Damals ist da ja nichts drauf gegeben worden. Ich glaube, den 30jährigen Krieg hat die Kate schon miterlebt. Vielleicht ist sie ja noch älter gewesen. Die Kate gehörte Johann Ibs und vorher hat sein Vater und Großvater, Johann Mattias und Clas Ibs, da auch schon gewohnt. Dabei sind auch 10 Tonnen Land gewesen, die Johann Mattias verkauft hatte. Johann Mattias war Zimmermann. Ein Enkel von ihm wohnt noch im Dorf. 

Auf einer Seite der Kate wohnte Lena Steckmest mit ihrem Klas. Klas konnte nicht viel arbeiten. Die Arbeit ging ihm nicht von der Hand, wie man so sagt. Am Liebsten mochte er Knicks ausroden. Sommertags, wenn es sehr heiß war, hatte er keinen Hut auf, dann wand er sich Hopfenrank um den Kopf. Er sagte, das kühlte so schön. Klas war auch schwerhörig und Lena hatte viel mit ihm zu tragen. Lena wusch und flickte für die Knechte. Im ganzen Dorf musste sie Ferkel greifen. Sie konnte bestens mit den bösartigen Säuen umgehen. Für jedes lebendige Ferkel bekam sie einen Groschen. Wenn es Nacht war, konnte sie sich hinten im Schweinestall, wo meistens der Schmorkessel und der Waschgrapen war, eine Tasse Kaffee kochen, damit sie sich besser vorm Schlaf schützen konnte. Sommertags arbeitete sie mit beim Bauern. Oft bekam sie auch bisschen Klingelbeutel- und Klostergeld. Sie konnte sich gut helfen.

Gegenüber das Haus gehört zu Carolinenthal. Früher wohnte hier Aug. Wensien, der die Stelle verkauft hat. Davor hat da Jochen Arp gewohnt. Aug. Wensin war eigentlich Tischler. Jetzt war er Fuhrmann und fuhr für Geld. Er hatte zwei kleine bunte Pferde. Sehr gerne  mochte er rauchen. Wenn er die Milch zur Meierei fuhr und tüchtig auszog, wussten die Pferde Bescheid, nun geht’s los. Er war ein Kampfgenosse von 1870 und konnte sehr viel erzählen. Hier wohnen nun zwei Familien, die beide auf Carolinenthal arbeiten. Robert Schleifert hat den Weltkrieg mit gemacht und hat das Eiserne Kreuz 1. Klasse bekommen.

Bisschen weiter längs, auf der anderen Seite der Straße, liegt ein kleines Pfannenhaus, das sich Haddi Voß gebaut hat. Er war Schuster und seine Frau hatte eine Hökerei dabei. Die jungen Leute aus dem Dorf gingen viel zu ihr hin, da gab es immer was Neues zu wissen. Gelegentlich wurde auch mal gefragt, ob die Stiefel und Schuhe schon fertig waren. Die Knechte kauften sich Tabak und Bonbons; auch hatten sie frei rauchen so lange was im Kasten war. Der Kasten stand immer auf dem Tisch. Viele waren schon so schlau, wenn sie gerade vor seinem Haus waren, stopften sie in die Pfeife einen kleinen Zigarrenstummel und rauchten. Sie hatten sich gerade hingesetzt, da war der Kopf wieder leer und sie konnten sich neu einstopfen. Dann stopften sie aber so fest und voll, dass sie kaum Luft hindurch bekamen. Das war dann ein Qualm in Haddis Stube, dass einer den anderen kaum sehen konnte. Der Tabak roch nicht gerade nach Rosenduft, denn in seinem Kasten war allerhand Gemisch drin. Als die Schusterei nicht mehr so richtig gehen wollte, wurde Haddi Amtsdiener und im Haus wurde ein Gefangenenlokal gebaut, was nicht gerade viel genutzt wurde. Eine kleine Koppel war dabei, wo Roggen und Kartoffeln angebaut wurde. In den letzten Jahren schaffte Trina sich einen kleinen Hund an, in dem sie ganz vernarrt war. Mit Haddi hatte sie keine Kinder. Sie war recht nusselig und die Hökerei wurde auch weniger. Die Hökerwagen, der rum fuhr, machten ihr auch viel Konkurrenz. Haddi war auch ein Kampfgenosse von 1870. Alle beide sind nun schon tot. Jetzt wohnt da der Maler Hermann Grewe, der das Haus vergrößert hat. Den Weltkrieg hat er auch mit gemacht.

Auf derselben Seite, das andere Haus, gehört wieder zu Carolinenthal. Hier hat früher Hans Rawe gewohnt und nachher zwei Stiepers, Clas und Hans. Der letzte verkaufte die Stelle. Nun wohnen da zwei Familien drin, einer arbeitet auf dem Hof.

Gegenüber ist ein Bauernhof, wo Göttsche in der 4. Generation drauf wohnt. Früher haben die Häuser mitten im Wischhoff gestanden bei dem alten Krug. Da sind sie abgebrannt. 1857 sind sie neu von Hinneri Göttsche aufgebaut worden. Sein Sohn Markus hat die Stelle auseinander gebaut und an zwei seiner Söhne, Hinneri und Rudolf, abgegeben. Das neue Haus steht ein bisschen weiter längs und ist 1909 gebaut worden. Hinneri und Rudolf haben beide den Weltkrieg mit gemacht bei der Artillerie, wo ihr Vater auch schon gedient hat. 6 Söhne und 2 Schwiegersöhne haben alle den Krieg mit gemacht. Einer ist an einer Verwundung gestorben. Die anderen sind alle gesund wieder gekommen.

Das Haus, das denn kommt, gehört Hinneri Harbeck. Der Chausseewärter Steffen Rohwer hat es 1895 gebaut und verkaufte es 1900 an Hans Gloy. Nach dessen Tod verkauften die Erben an Maler Grabke und der verkaufte es an Hinneri Harbeck. Hinneri ist Mauermann und Bauunternehmer, auch hat er eine Hökerei dabei, die seine Frau Agnes betreibt. So ein bisschen Kaufmannsblut steckt wohl in Hinneri. Sein Großvater Marx Harbeck, wie ich schon geschrieben habe, war auch ja Höker im Dorf. Hinneri hat als Landwehrmann den ganzen Krieg im Westen mit gemacht und hat viel durchmachen müssen.

Nun kommt Wilhelm Hein mit einem Haus, der auch in der 3. Generation im Dorf ist. Sein Vater Hinneri Hein hat das Haus 1886 gebaut. Hinneri war ein Kampfgenosse von 1870. 20 Jahre nach dem Krieg haben sie ihm noch einen Granatsplitter aus dem Arm genommen. Bis zu seinem Tod bekam er Kriegsrente. Er hatte einen recht großen Bienenhagen, backte Torf und arbeitete beim Bauern. Die letzten Jahre musste er dem Gärtner auf Carolinenthal helfen. Wilhelm Hein arbeitet auf dem Hof.

Die kleine Pfannenkate, die nun kommt, mit all den schmucken Rosen, gehört Hannis Ibs, der auch schon in der 4. Generation ansässig ist. Hannis hat die Kate 1901 von seinem Onkel Hans Ibs gekauft. Eben nach dem 70er Krieg hat er sie bauen lassen. Hannis hat den Krieg als Landsturmmann mit gemacht und war ziemlich die ganze Zeit auf der Insel Sylt.

Nun kommt der Krug, das letzte bewohnte Haus im Dorf. Das ist 1901 von Paul Andersen aus Willenscharen gebaut worden. 1919 hat er es an Hannis Schippmann aus Breitenberg verkauft. Sie haben beide den Weltkrieg mit gemacht; Paul Andersen als Landwehrmann und Hannis Schippmann hat das Eiserne Kreuz 2. Klasse bekommen. Hier im Krug sind schöne große Stuben. Eine Poststation ist auch dabei. Zwei Autobuslinien halten hier vor der Tür. Die eine fährt von Kellinghusen nach Nortorf mit Anschluss nach Kiel, die andere von Hohenwestedt über Bramstedt nach Hamburg.

Gegenüber dem Krug ist der Dorfs- und Feuerwehrteich, der leider in den letzten Jahren meist trocken gelegen hat. Der Wasserspiegel ist wohl gesackt, denn an den Bachquellen ist immer mehr abgeholzt und Weideland daraus gemacht worden. Das Spritzenhaus steht hier auch. Es ist 1898 gebaut worden. Da wurde auch unsere kleine Dorffeuerwehr gegründet. Das gab damals recht viel Beihilfe von der Provinz für die Spritze und die Röcke, so dass die Bauerngemeinde wenig Kosten davon gehabt hatte. Früher gehörte Rade  mit zur Fitzbeker Spritze, was sehr weitläufig war. Ehe die Spritze hier war, konnte das ganze Dorf abbrennen. Als die Feuerwehr gegründet wurde, gab es viele Gespräche im Dorf. Führer wurden gewählt, abends nach Feierabend wurde exerziert und die Spritze probiert. Das Beste aber war jedes Jahr der Feuerwehrball, der wintertags mit ein paar Theaterstücken abgehalten wurde. Das brachte dann immer viel Spaß im Dorf und Anstalten wurden gemacht. Die Theaterstücke mussten eingeübt werden. Einige hatten eine Menge zu lernen und sagten ihre Lektion beim Grützekochen auf. Da kamen immer viele Leute zusammen, auch aus den Nachbarsdörfern. Das war ein schönes harmonisches fest, worüber immer lange gesprochen wurde. Das Spritzenhaus ist das letzte im Dorf.

Nun will ich mit dem Leser zu Krug gehen, da er so nahe ist, und bei einem Glas Grog und einer Pfeife voll Tabak wollen wir das alles noch mal gehörig durchschnacken. Der Leser wird dann zu der Überzeugung kommen, dass Rade ein kleines gemütliches Bauerndorf ist, mit Leuten, die alle lange auf der Scholle gesessen haben, und die immer viele Jahre in ihrem Heimatdorf geblieben sind.

Bei uns ging  es hier auch immer Hand in Hand. Klassenunterschiede gab es nicht. Wenn bei den Bauern Schweinsköste (Schlachtung) war, bekamen die bedürftigen Leute immer einen kleinen Braten ab. Auch wenn sonst was los war, wie Hochzeit, Kindgeburt oder Trauermalzeit, dann kam immer ein Topf voll frischer Suppe zu den bedürftigen oder alten Leuten.         

Mögen die Einwohner auch immer stark sein und den Kampf im Leben bestehen ihrer Heimat wegen. Ja, die Heimat, das Elternhaus bleibt für alle, die da geboren sind, eine heilige Stelle. Für alle, die in der Fremde ihr Brot gesucht haben, soll die Tür immer offen bleiben. Die Eltern, die uns Hof und Haus überlassen haben, sollen wir immer ehren und danken. Die Familien mögen sich immer zusammenschließen zur Haus- und Dorfgemeinschaft für Volk und Vaterland. Ein geschlossener Volkswille ist nie unterzukriegen, zu  bekämpfen und zu besiegen. Volksgrenzen gibt es nicht und Staatsgrenzen sind nur Linien.

Allerdings muss der Bauer tüchtig arbeiten. Er kennt keinen Achtstundentag. Wenn es mal ein Seuchenjahr oder eine Missernte gibt, muss er ein ganzes Jahr oder mehr umsonst arbeiten. Er tut es, und sagt sich, von meinem Leben und meiner Arbeit hängt das ganze Vaterland ab. Bauernseele ist Volksseele.

 

 

Früher gab es ein Bild, wo 8 Stände drauf waren. Bei den ersten ging es bergauf, bei den letzten bergab. 

Zuerst kam der Kaiser in einem purpurroten Mantel mit einem Zepter in der Hand und finsterem Blick. Darunter stand: “Ich fordere den Tribut!“ 

Dann kam der Edelmann, der sah etwas freundlicher aus: „Ich habe ein freies Gut“. 

Der dritte war der Priester: „Mir gehören die Stollgebühren“. 

Der vierte, der Soldat in voller Montur: „Ich bezahle nichts“. 

Und der Bettler im zerrissenen Anzug: „Ich habe nichts“. 

 

Zuletzt kam der Bauer im langen alten Bauernrock, mit ernstem Gesicht, blickte zu den anderen rauf. Er stand bei einem vollen Kartoffelsack, hatte den Hut abgenommen, die Hände gefaltet auf den Sack gelegt, und sagt: „Ich lasse den lieben Herrgott walten – ich muss euch doch alle sechs erhalten“. 

 

Ja so ist es und bleibt es, mag kommen was da will, da ist nicht dran zu machen. Mag sich einer noch so sehr mit seinem Geldsack brüsten, wenn der Bauer nichts hat, dann haben sie alle nichts. Das hat uns besonders der Weltkrieg gelehrt. Deshalb haben wir auch das Erbhofgesetz bekommen, dass wir unseren Elternhof ganz erhalten können. Wir wollen hoffen und wünschen, dass das lange so bleiben mag. Alle zusammen müssen wir unsere Pflicht tun, um das nationale und persönliche Erbgut von Volkstum und Heimat zu erhalten. Möchte jeder sich über die deutsche Einheit freuen und sich immer wieder das vor Augen führen, was die Soldaten im Weltkrieg für die Heimat, für uns getan und ausgehalten haben. Wenn sie in Not waren und den Tod vor Augen hatten, haben sie doch zuerst an Vater und Mutter, an Frau und Kind, an Haus und Hof gedacht, überhaupt an all die Schätze, die das Wort „Heimat“ einschließen.  

 

Die Schülerinnen und Schüler Fitzbek-Rade 1916  

mein Vater der zweite oben rechts

 

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Zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts wurden nur noch vier Betriebe in Rade bewirtschaftet: 

Peter Bestmann, der den Hof von seinem Adaptivvater Rolf Göttsche übernommen hatte, 

Dirk Gloy, Hermann Thun und Dr. Niedig, Gut Carolinienthal, dessen Onkel es von v. Thielen gekauft hatte.

Die Ländereien der stillgelegten Höfe blieben im Dorf. 

 

 

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